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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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Nachbarn vorgeworfen war. Ein sensibler Literat, der nur durch Verbeugungen vor althergebrachten Berühmtheiten einen flüchtigen Kuss der Muse erhoffen durfte. Das war der Acker, der nichts als dornenbewehrten Wahnsinn hervorbrachte. Warum hatte Loss sich nicht für ihn eingesetzt? Ich fragte ihn direkt.
    »Warum, warum? So einfach war der Preul auch nicht zu nehmen. Der wollte keinen Almosen, sondern möglichst den Literatur-Nobelpreis. Das meine ich nicht wörtlich. Ein kleiner regionaler Autorenpreis hätte es auch getan.«
    »Warum hast du ihn nicht für so etwas vorgeschlagen? Du bist doch ein anerkannter Bücherwurm?«
    Loss schüttelte bedächtig den Kopf und schaute in eine mir verschlossene unendliche Ferne. »Der wollte keine Fürsprache. Der verlangte, dass seine Texte als Eigenprodukte erkannt und begeistert gefeiert würden. Nichts weniger und nichts mehr. So kam er dann auf die Idee mit der Buchherausgabe. Jedenfalls habe ich ihm den Verleger vermittelt, was wohl ein schwerer Fehler war. Damals durfte man das aber auch anders sehen.«
    Was war denn schließlich im Buch? Eigene Texte von Preul oder eine Sammlung deutscher Klassiker? Ich blickte immer noch nicht durch.
    »Das ist nie genau geklärt worden«, berichtete Loss mit gequältem Gesichtsausdruck. Er fühlte sich sichtlich unwohl. »Manche Texte wurden Mann und anderen zugeordnet. Aber sie fanden sich in keinem Werkverzeichnis. Es wurde unterstellt, dass Preul irgendwie Zugang zu unveröffentlichten Texten dieser Autoren hatte, obwohl das ziemlich unwahrscheinlich war. Und wenn nicht, dann sollte er angeblich Texte mit seinen eigenen Worten verändert haben. Preuls Auftritte vor Gericht wurden immer schriller. Der stampfte und brüllte, beleidigte alle und jeden, ja – und dann passierte es. Gutachter erklärten Preul für unzurechnungsfähig. Damit war der Prozess zu Ende, obwohl eigentlich nichts geklärt war. Preul kam in die Klapse und die übrigen Beteiligten gingen wieder ihren eigenen Geschäften nach. Die waren zufrieden, Preul war aus dem Verkehr gezogen.«
    Loss war ein guter Erzähler, dachte ich. Und seine Story war ausgesprochen spannend, bewegte mich im Innern meiner Empfindungen. Mitleid mit Preul? Ja, sicher auch das. Mehr noch faszinierte mich der Schriftsteller Preul, der in seinem eigenen Umfeld verkannt und verhöhnt wurde. Bis zur letzten Schmach, der Einweisung in eine Anstalt. Noch verbindlicher konnte eine selbst ernannte Kunstszene nicht erklären, wer zu ihr gehörte und wer nicht. Preul durfte aus irgendwelchen Gründen nicht dazu gehören. Deshalb interessierte er mich besonders. Hinzu kam eine tiefsitzende Verachtung für die Schickeria, die es merkwürdigerweise auch in dieser traditionellen Arbeitervorstadt Linden gab.
    Loss unterbrach meine Gedanken. »Ich würde gern mal einen Text von dir haben«, forderte er mit einem lauernden Gesichtsausdruck. Ich war maßlos überrascht und fühlte mich überrumpelt. Nie hatte ich Loss von meiner Arbeit oder meinen Neigungen erzählt, einzig als Büchernarr hatte ich mich in seinem Laden eingeführt.
    »Wie kommst du darauf, dass ich schreibe?«, wollte ich wissen.
    Er grinste unverschämt. »Nennen wir es mal Lebenserfahrung. Mir machst du nichts vor. Und, übrigens, der Text von dir sollte unbedingt unveröffentlicht sein. Ich will ihn meiner speziellen Sammlung einreihen.«
    Ich schaute wohl etwas verwirrt. Loss setzte nach. »Jetzt denkst du wie jeder zweite Deutsche: Was habe ich davon, was bekomme ich dafür, wenn ich dem alten Narren einen Text gebe? Die Frage kann ich dir beantworten. Ich bringe dich mit Preul zusammen. Ja, in der Klapse. Kannst ihn dir mal ganz aus der Nähe anschauen, obwohl du davon nicht allzu viel erwarten solltest. Ist das ein Angebot?«
    Spontan signalisierte ich Zustimmung. Ein Geschäft mit dem alten Koks-Trinker, der ganz sicher selbst jedes Geschäft unter dem Vorbehalt prüfte, was für ihn dabei heraussprang – und wenn es eine kleine Flasche Rum-Verschnitt war. Peinlich war nur, dass mich Loss eventuell auch für einen verkannten Dichter hielt. Aufklärend hielt ich ihm meinen Presseausweis unter die Brille. Er nickte gelangweilt und winkte ab. »Presseleute haben Kohle. Könntest mal wieder ’ne Pulle Rum holen. Koks gehört nun mal zur Literatur. Irgendwann begreifst du das auch – oder hast du das schon im Speicher?«
    Hier endet meine Erinnerung an diesen Tag, denn natürlich holte ich die Flasche, selbstredend tranken wir sie

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