Totenruhe
zu, aber er schien mich vergessen zu haben, schaute an seinen Büchern vorbei in die Weite einer mir verborgenen Welt. Nach dem dritten Koks fixierte er mich und seine Augen wurden klein und scharf.
»Du hast das Buch gelesen und bist tief beeindruckt. Jetzt willst du mehr von Preul haben, und es ist dir egal, ob Plagiat oder Preul Original. Es gibt tatsächlich noch zwei weitere Bücher von Preul. Aber ich weiß nicht, ob sich Exemplare irgendwo zwischen meinen Schätzen befinden. Ich habe schon vor Jahren den Überblick über meine Literatur-Szene verloren.«
»Sie haben mich gestern belogen, entschuldige, du hast mich belogen«, klagte ich ihn mutig nach dem vierten Koks an. Er schien weder beleidigt noch überrascht: »Kann sein, ich nehme das schon lange nicht mehr so genau.«
»Du hast behauptet, du kanntest den Preul nur flüchtig«, warf ich ihm vor. Er schüttete bedachtsam eine fünfte Runde Koks ein und begann wieder umständlich seine Brille zu putzen. Ohne Brille verloren seine Augen ihr Leben, sahen kalt und erloschen aus.
»Na ja«, gab er zu, »eigentlich kannte ich ihn ganz gut. Aber wer will schon einen gut kennen, der in der Klapse sitzt?«
»Gern würde ich mehr über Preul erfahren. Sein Buch ist wirklich phantastisch.«
»Preul«, sinnierte er, als müsse er eine Personalakte aus dem Gedächtnis rekonstruieren. »Preul hat alles falsch gemacht, was er falsch machen konnte. Der geborene Verlierer, aber auf hohem Niveau.« Willi Loss setzte seine Brille wieder auf und schaute mich plötzlich scharf über den oberen Rand an. Mir war klar, jetzt war er bereit, auszupacken. Inständig dankte ich allen Schnapsbrennern in der Karibik für ihre wirksame Medizin.
»Das war vor zehn Jahren, können auch elf gewesen sein, da kannten hier viele den unbekannten oder verkannten Autor Karl Preul. Der zog durch Freizeitheime, Altennachmittage und Kneipen und trug seine Texte vor. Die Texte waren meines Erachtens gar nicht schlecht – und ich habe Ahnung, glaube mir, mein Junge. In einigen hat er sich sogar mit alten Nazis angelegt. Einen Wehrwirtschaftsführer hatte er besonders im Visier. Aber irgendwie hat Preul sein Publikum nicht gefunden, die Leute nahmen ihn nicht ernst, zahlten gern den einen oder anderen Koks und das war es dann schon. Die von der Zeitung wollten seine Texte auch nicht, weil er unbekannt war. Das hat ihn dann auf einen grandiosen Einfall gebracht. Plötzlich zog er mit Texten von Heine, Goethe und Schiller los, manchmal sogar Hermann Löns und siehe da, die Leute nahmen ihn ernst, hörten aufmerksam zu und sagten gelegentlich sogar ihre Meinung zu diesem oder jenem Text. Preul bekam Geld für seine Lesungen. Nicht eben viel, aber für Miete, Brot und Koks reichte es wohl. Glücklich hat es den Preul nicht gemacht. Der war Künstler, hing natürlich an seinen eigenen Texten. Und so kam er irgendwann auf eine geniale Idee. Er trug seine eigenen Texte unter berühmten Autorennamen vor. So war der Heine eben echt ein Preul und Thomas Mann auch. Jetzt kommt es, junger Freund. Die Leute haben das nicht durchschaut, die haben begeistert geklatscht. Und dann stand schließlich in der Zeitung: »Preul kann sehr gut rezitieren. Es sind aber auch hervorragende Texte unserer größten Dichter, die er mit sicherer Hand auswählt.«
Wieder goss Willi nach und ich versuchte zu schätzen, was zuerst alle sein würde, der Rum oder die Zuckerstückchen. Bedeutsam zeigte der Antiquar auf meinen Stuhl. »Da hat er gesessen und geschrien: ›Es sind meine Texte.‹ Dann war sein Kopf hochrot. So stand er auch auf der Bühne. Da hat er nach den üblichen Belobigungen für die großen deutschen Dichter aber nur in sich hinein geschrien, dass es doch seine Texte sind. Wahrgenommen wurde sein hochrotes Gesicht und das Publikum freute sich, welche Wirkung ein kleines Lob auf einen engagierten Literatur-Rezitator ausübte.«
Pastor Sauerbier war sichtlich begeistert von der Erzählung. Er bestellte eine neue Runde Rezepte. »Merkwürdig, dass ich den Preul damals nicht wahrgenommen habe. Nun, Literatur war nicht mein Thema und Koks schon gar nicht. Da wird einem doch schon vom Hören schlecht. Aber die Geschichte ist faszinierend. Erzählen Sie weiter.«
Robert Humdorf lutschte den Wodka genüsslich. »Wenn Sie noch mehr vertragen können, soll es mir recht sein. Also, zurück zu Preul.
Es fiel mir leicht, mit Preul zu leiden. Ein verkannter Künstler, der den erbarmungslosen Hyänen desinteressierter
Weitere Kostenlose Bücher