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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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sich in der Geschichte vor allem durch die Kreuzigung des Herrn Jesus Christus hervorgetan hätten. Einen Juden im Haus zu haben, sei vom Standpunkt der Nächstenliebe aus betrachtet gewiss ein gutes Werk, trotzdem dürfe man sich nicht wundern, wenn über kurz oder lang der Teufel mit seinen Dämonen davon angezogen würde.
    Samuel hörte sich die Meinung ohne Widerrede an. Ob es seine Klugheit oder seine Schüchternheit war, die ihn schweigend lächeln ließen, hätte Konrad nicht sagen können. Jedenfalls begann er den jungen Mann zu bewundern und sich selbst dafür zu hassen, dass er dieses schreckliche Exemplar von einem Mönch nach Falkengrund geholt hatte. Konrad bedankte sich bei Frater Cornelius für dessen Hilfe und versuchte ihn hinaus zu komplimentieren.
    Das wäre ihm vermutlich geglückt, hätte nicht der Spuk in der Halle just in dem Moment eingesetzt, als sie auf dem Rückweg die Treppe herabkamen. Der Bruder stand quasi in der ersten Reihe, als das Schauspiel begann.
    Die Schatten wurden unruhig, Lichtreflexe erschienen an den Wänden, als würde jemand einen spiegelnden Gegenstand in der Sonne bewegen. Ein Wimmern lag in der Luft. Frater Cornelius, der schon die vorletzte Stufe erreicht hatte, wich noch einmal zwei Stufen zurück. Vor den Augen der beiden Männer tauchten körperlose Füße auf, nackte Füße, und sie hingen nicht ruhig herab, sondern kickten und strampelten wie in einem verzweifelten Todeskampf.
    „Die Dämonen“, zischte der Mönch.
    „Ja, aber hier ist doch alles voller Kreuze.“
    Tatsächlich prangten überall die Kreidekreuze. Der Bruder griff nun umständlich unter seine zeltgroße Kutte und zerrte mit Mühe und Not ein Holzkruzifix hervor. Es war groß, schlicht und schon sehr abgegriffen. Dieses streckte er beidhändig von sich und sprach etwas in lateinischer Sprache.
    Konrad verstand nichts davon, und offenbar galt das auch für die Gespenster, denn eine Wirkung war nicht zu beobachten. Höchstens wurden die Konturen des Spuks noch ein wenig klarer.
    Für Konrad blieb die Zeit stehen. Der Bruder intonierte eintönig den lateinischen Sermon. Langsam ging er die Treppe hinab und durchmaß mit trägen Schritten, die wohl feierlich sein sollten, wieder und wieder die Halle. Obwohl alles sehr lange dauerte, sah es nicht so aus, als würde er sich besondere Mühe geben. Der Illusionist fühlte sich von seinen Bewegungen an einen geistig zurückgebliebenen Hausdiener erinnert, der den Staub von einer Ecke des Raumes in die andere kehrte und wieder zurück – und dabei ein monotones Lied sang, von dem er nur eine Strophe kannte.
    Irgendwann blieb der Mönch am Rand der Halle stehen, legte das Kruzifix ab und massierte sich die Arme, die vom Tragen des Kreuzes zu schmerzen schienen.
    „Es ist getan“, sagte er dumpf.
    Konrad fragte sich, ob er der einzige war, der die Umrisse der Gespenster sah. Jedenfalls baumelten die Geisterbeine nach wie vor herab, und auch die klagenden Stimmen lagen noch in der Luft. „Sie sind noch da“, erklärte er und kam sich wie ein Idiot vor, da er nur das Offensichtliche konstatierte.
    „Es ist getan“, wiederholte Bruder Cornelius. „Denken Sie daran, dem Kloster eine Spende zukommen zu lassen. Hundert Goldmark dürften ein angemessener Betrag sein.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zur Tür und öffnete sie selbst. Die Geisterfüße stießen nach dem Kleriker, und einer erwischte ihn leicht an der Schulter, so dass der Mann kurz ins Straucheln kam. Er reagierte nicht weiter darauf, machte nur ein paar schnelle Schritte, wohl, um den Einflussbereich des Spuks zu verlassen.
    Geduckt und eilig durchquerte Konrad die Halle, folgte dem Mönch nach draußen. „Wie soll ich das alles verstehen?“, rief er. „Sie machen sich einfach aus dem Staub, ohne etwas erreicht zu haben?“
    Frater Cornelius war längst stehen geblieben. Er schien etwas zu betrachten. „Wer sagt, dass ich nichts erreicht habe?“ Sein Arm hob sich, der dicke Zeigefinger wies auf eine Stelle im Gras. Wenige Meter von ihnen entfernt lag etwas auf der Erde. Es war ein Tierkadaver, schon wieder. Diesmal handelte es sich um eine Ziege, einen Bock. Ein Riss ging quer durch seinen Schädel, seine beiden Kopfhälften waren auseinandergedrückt, die gewundenen Hörner standen in ungleichen Winkeln ab. Schwarze Augen starrten blicklos in unterschiedliche Richtungen. Ein dunkler Belag verschmierte das Gebiss des Tieres, als habe es von seinem eigenen Blut getrunken.

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