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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Kammerjäger brauchen. Unter dem Dach wimmelt es nur so von schwarzen Käfern.“
    Konrads Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Am Vortag waren ihm die Insekten an der Tür aufgefallen, und heute hatte er sie schon zweimal gesehen, einmal ein einzelnes Exemplar, das an der Decke hing, während er mit Charmaine zu sprechen versuchte, und einmal eine Gruppe von zehn oder fünfzehn Tieren an einer der Wände in der Bibliothek. Er hatte angenommen, sie kämen aus dem Garten. Hatten sie ihr Nest womöglich auf dem Dachboden?
    Zusammen mit Samuel machte er sich daran, das Haus zu inspizieren. Das Ergebnis war so scheußlich wie faszinierend. Die Käfer bevölkerten das Schloss in Scharen. In der Halle und in den Korridoren waren sie kaum anzutreffen, weshalb er ihre Zahl bisher unterschätzt hatte. Es gab eine Route, von der sie sich nur selten entfernten. Die beiden Männer brauchten Stunden, um sie genau zu lokalisieren. Dazu mussten sie einige Bretter lösen und Möbel verrücken.
    Die Straße der Käfer nahm ihren Anfang an einer Mauerritze auf der Ostseite des Schlosses. Durch diese Spalte gelangten die Insekten unter die Dielen der Bibliothek, legten dort im Verborgenen etwa fünf Meter zurück, ehe sie ihr Versteck verließen und in schräger Linie über die Zimmerwand nach oben krochen. Ein kurzes Stück krabbelten sie unter Fußbodenbrettern verborgen weiter, dann brachen sie in eines der unbenutzten Zimmer durch und durchquerten mehrere Räume, bis sie Charmaines Zimmer erreichten.
    Charmaines Zimmer!
    Dort war ihre Reise jedoch noch nicht zu Ende. Durch ein kaum sichtbares Loch in der Ecke verschwanden sie erneut in der Wand und folgten winzigen Hohlräumen, die sie über viele Verästelungen und Biegungen bis hinter ein morsches Brett auf dem Dachboden führten.
    Konrad verstopfte die Ritze in der Außenwand mit Erde, nur um bei einem letzten Kontrollgang vor dem Schlafengehen feststellen zu müssen, dass es Massen von schwarzen Käfern mit gemeinsamer Kraft gelungen war, den Weg wieder freizulegen.
    Auch diese Nacht gehörte zu denen, die ihm keinen Schlaf brachten. Lange nach Mitternacht stand er von seinem durchgeschwitzten, zerwühlten Lager auf und wandelte ruhelos den Korridor auf und ab, leuchtete mit der Lampe die Ecken aus. Hier waren nur wenige Insekten zu sehen, was ihn jedoch nicht beruhigen konnte. Er wusste, dass ihr Weg anders verlief.
    Jedes Mal, wenn er an Charmaines Tür vorbeikam, hielt er inne. Es kribbelte ihn in den Händen, die Klinke zu drücken und abrupt die Tür aufzustoßen, doch er wusste, dass es sein Verhältnis zu der Frau vollends zerstören würde, wenn er ihre Privatsphäre missachtete. Es war schon schwierig genug gewesen, am helllichten Tag ihr Einverständnis zu bekommen, um in dem Raum nach den Käferwegen zu suchen. Es gab ein Gesetz zwischen ihnen, dass sie ihn in seinem Zimmer jederzeit besuchen konnte (wovon sie regelmäßig Gebrauch gemacht hatte), aber er ihres nicht unaufgefordert betrat. Er selbst hatte diese Regelung vorgeschlagen, als sie hier einzogen, ganz Gentleman. Heute verfluchte er sich dafür.
    Wenn er an der Tür lauschte, vernahm er nichts. Nicht die grollende Stimme des Spuks, auch keinen Laut von Charmaine. Offenbar schlief sie. Wie viele Nächte hatten sie schon nicht mehr zusammen verbracht? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, obwohl er sie an einer Hand abzählen konnte.
    Konrad betrat die Zimmer, durch die am Tag die Käfer gerieselt waren. Jetzt war von ihnen nichts mehr zu sehen. Wohin waren sie verschwunden? Schliefen sie? Und wenn ja, wo? In Löchern in der Gartenerde? Oder in geheimen Verstecken auf dem Dachboden? Lebten sie in den Möbeln, die Samuel nicht hatte öffnen können?
    Noch einmal legte er sein Ohr an Charmaines Tür, hörte ganz genau hin, sperrte alle anderen Geräusche aus, zwang sich, nicht einmal sein eigenes Atmen oder seinen Herzschlag zu hören.
    Und vernahm etwas.
    Ein Schaben, Kratzen, so leise, dass es von den eigenen Bartstoppeln rühren mochte, die sich am Holz rieben. Aber es war nicht sein Bart. Es kam gleichmäßig und vielstimmig. Obwohl er das Geräusch in dieser Form noch nie gehört hatte, wusste er sofort, was es war.
    Sich aneinander reibende Chitin-Panzer.
    Er drückte die Klinke – die Tür war verriegelt.
    Ohne eine Sekunde zu zögern nahm er Anlauf und warf sich gegen das Holz. Schon der erste Versuch fiel so heftig aus, dass das Schloss nachgab: Die Tür flog mit einem ohrenbetäubenden Knall in den Raum.

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