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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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schlimmsten Fall würde ich ihn nur zweimal benutzen dürfen.
    Im vierten Stock stiegen zwei junge Männer zu. Wir grüßten uns, einer von ihnen drückte die Neun, dann sah er wohl, dass die Fünfzehn leuchtete, und er musterte mich mit einem schwer zu beschreibenden Blick. Er hatte ein außergewöhnlich langes Gesicht, eng beieinanderstehende Augen und einen schalkhaften Zug um den Mund. Ich dachte bei mir, dass er vermutlich einen guten Komödianten abgegeben hätte.
    „Personalabteilung, hm?“, sagte er. „Wir haben hier bei Mitsugai einen kleinen Aberglauben.“ Mit diesen Worten drückte er die Dreizehn.
    „Bezüglich der Zahl Fünfzehn?“, fragte ich verständnislos.
    Sein schelmisches Lächeln wurde breiter, bis es fast nicht mehr auf sein Gesicht passte. „Nein, aber es gibt hier die Redensart, dass derjenige sich den Kopf anstößt, der in unserer Firma zu schnell nach oben will.“ Sein Begleiter lachte glucksend, und der Mann mit dem langen Gesicht hob die Schultern, als wolle er sich für ihn entschuldigen. „Vom Dreizehnten führt eine hübsche Treppe in den Fünfzehnten. Sie sollten sie benutzen.“
    Darauf erwiderte ich überhaupt nichts, räusperte mich nur. Was in aller Welt wollte er sagen?
    Die Neunte war schnell erreicht, der Lift entließ die beiden in ein gewaltiges Büro, in dem eine geschäftige, aber nicht unangenehme Atmosphäre zu herrschen schien. Als die Türen wieder zuglitten, musste ich mich fragen, wie ich handeln würde. Im 13. Stockwerk aussteigen, wie mir geraten worden war? Oder bis zum Fünfzehnten durchfahren, wie es jeder vernünftige Mensch getan hätte?
    Die Türen öffneten sich im Zwölften erneut. Gleich drei kichernde Office Ladies schwärmten mit gesenkten Köpfen herein, und ich verfluchte die Geräumigkeit des Lifts, die mich um ein wenig weibliche Nähe brachte. Wie in manchen größeren Firmen üblich, trug auch hier das Personal Uniform – die Anzüge der Herren und die Kleider der Damen waren in tiefem Burgunder gehalten, eine Farbe, die mich im ersten Moment an geronnenes Blut erinnerte.
    Diese Assoziation zeigt wohl, wie es zu dieser Zeit in mir aussah. Ohne meine gesamte Lebensgeschichte aufrollen zu wollen: Ich war innerhalb von drei Jahren bei drei verschiedenen Betrieben beschäftigt gewesen. Die erste Anstellung hatte ich aufgegeben, weil mir die Arbeit gesundheitliche Probleme bereitete, bei den anderen beiden war ich wegrationalisiert worden, und natürlich wünschte ich mir jetzt, den ersten Job nicht aufgegeben zu haben. Der angespannte Markt ging nicht gerade zärtlich mit kleinen Unternehmen um, und die Arbeitsverträge boten einem keinerlei Sicherheit mehr. Man war weniger wert als ein Stein im Go-Spiel. Man wurde an irgendeinen Platz gesetzt, dessen strategische Bedeutung man selbst nicht recht verstand, war irgendwann plötzlich von Feinden umzingelt und wurde entfernt. Dass ich mit meinen 46 Jahren und mageren Zeugnissen noch Chancen auf eine gute Anstellung hatte, schien mir unwahrscheinlich.
    Umso überraschter war ich, als meine Bewerbung bei Mitsugai prompt mit einer Einladung zum Vorstellungsgespräch beantwortet wurde. Mitsugai expandierte gewaltig, und offenbar war der Hunger nach neuen Mitarbeitern so groß, dass man sogar Leute wie mich nicht abzuweisen wagte.
    Dennoch machte ich mir keine zu großen Hoffnungen. Ein Vorstellungsgespräch war noch keine Einstellung.
    Wenn die drei Damen, die mit mir den Lift teilten, im Dreizehnten ausgestiegen wären, hätte ich mich ihnen wohl angeschlossen. Doch da sie blieben, blieb ich auch. „Ich habe die Dreizehn nicht gedrückt“, meinte ich, und wieder kicherten sie.
    Im 15. Stockwerk strömten wir hinaus, die Ladies trippelten nach links davon, und ich blieb erst einmal stehen und sah mich um. Auch die Personalabteilung war ein Großraumbüro. Hier fehlten allerdings die üblichen langen Tische, an denen eine strenge Hierarchie herrschte. Stattdessen gab es viele winzige Schreibtische, scheinbar planlos angeordnet, mit Computern und Akten überladen und durch Stellwände voneinander getrennt. Die Boxen waren eng, die Decke niedrig, die Neonlampen grell. Die Lautstärke war beachtlich, da kein Teppichboden die Schritte der vielen umhereilenden Menschen dämpfte. Der Fahrstuhl war eine Scheinwelt gewesen – nun wurde ich mit der Realität konfrontiert.
    Ich zupfte an meiner Krawatte, ärgerte mich, dass ich keine burgunderfarbige gewählt hatte, und ging angespannt zwischen den Boxen

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