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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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befördern.“
    Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich verstehe , dachte ich, aber ich sprach es nicht aus, nickte nur aufmerksam.
    „Haben Sie Familie?“, fragte er als nächstes, und, erfreut, mit dieser Frage mehr anfangen zu können, lieferte ich ihm einen kurzen Bericht über meine Frau und meine beiden Töchter ab. Ich zeigte ihm sogar ein Foto von ihnen, und er betrachtete es neugierig und verlor ein paar Komplimente, ehe er mir das Bild wieder zurückgab. Der Rand des Fotos wies Schokoladenflecken auf, doch aus Angst, ihn zu beleidigen, steckte ich es zurück, ohne es zu säubern.
    Inoue sah auf die Uhr, ein edles Stück, das nicht viel weniger gekostet haben konnte, als mein Jahresgehalt in meiner letzten Firma betragen hatte. „Vier Minuten von zwölf sind vorüber. Wie wäre es, wenn wir jetzt zusammen den Vertrag ausfüllen würden, hm? Dann könnte ich noch in Ruhe auf die Toilette gehen, ehe der nächste an der Reihe ist.“
    Das war alles.
    So wurde ich Mitarbeiter bei Mitsugai.

2
    Und eine Woche später trat ich meinen Dienst an. Ich erhielt meinen Platz im 9. Stock, am Ende eines der langen Tische, am Ende einer ebenso langen Hierarchie, und die Worte des Herrn Inoue kamen mir erst einmal höhnisch vor. Wie sollte ich mich durch die Reihe all der Leute wühlen, die vor mir saßen? Ich bemühte mich, das Thema Karriere erst einmal zu vergessen und mich zu freuen, dass ich einen Job in einer florierenden Firma hatte.
    Das war nicht so einfach, wie es sich anhört. Schließlich kamen meine Töchter gerade in das Alter, in dem sie richtig viel Geld kosteten. Die Ausbildung an einer privaten Oberschule wollte bezahlt werden, und wenn ich ihnen den Gang zu einer brauchbaren Universität finanzieren wollte, musste ich innerhalb der nächsten ein, zwei Jahre einen ordentlichen Batzen Geld auf die Seite schaffen. Mit dem niedrigsten Angestelltenlohn war das aussichtslos. Schon bald bekam ich außerdem mit, welche enormen Gelder innerhalb von Mitsugai tatsächlich flossen.
    Die Handelsfirma, die vor neun Jahren entstanden war und vom ersten Tag an boomte, hatte mit vier Mitarbeitern begonnen und beschäftigte mittlerweile zehntausend, einen Teil davon hier in ihrem Hauptsitz in Tôkyôs Norden im Stadtteil Ikebukuro. Die Erfolgsgeschichte von Mitsugai war selbstverständlich durch alle Medien gegangen. Studien waren erschienen, ganze Bücher lobten den Aufschwung der Firma und gaben vor, ihn zu verstehen, obwohl ihn niemand so richtig erklären konnte. Man handelte mit Computerhardware, tat also das, was viele andere Betriebe auch taten, und doch war man um ein Vielfaches erfolgreicher. Die Konkurrenz hatte schwere Rückschläge hinzunehmen, denn alle branchentypischen Krisen schienen an Mitsugai wirkungslos abzuprallen. Das Unternehmen schaffte es, jeden Engpass in einen Vorteil zu verwandeln und ging aus jeder Notlage gestärkt hervor.
    Die Bereichsleiter und Hauptabteilungsleiter verdienten ein Vermögen.
    Ich wusste, dass ich bereits mit 50 Prozent mehr Lohn rechnen konnte, wenn ich es nur zum Projektleiter brachte. Schon die Gruppenleiter konnten sich teure ausländische Autos leisten.
    Das kurze Gespräch mit Inoue hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt, und ich ärgerte mich beinahe darüber. Obwohl es nicht meine Art war, dachte ich den lieben langen Arbeitstag an meine Karriereaussichten. Zehn, elf Stunden täglich nur wenige Meter von diesen Großverdienern entfernt zu sein, machte Appetit.
    Die Arbeitsbedingungen waren in Ordnung. Es gab eine Menge zu tun, so dass es schwierig war, die Firma vor 20 Uhr zu verlassen, aber das sah in anderen Betrieben nicht anders aus. Die ständige Hochkonjunktur im Haus sorgte für Motivation und gute Stimmung. Mobbing schien es nicht zu geben, kleinere Meinungsverschiedenheiten wuchsen sich niemals zu Problemen aus. Die Vorgesetzten waren größtenteils interessante Leute. Einigen von ihnen war der Erfolg zu Kopf gestiegen, und sie gaben sich den Untergebenen gegenüber mithin arrogant, doch richtig unangenehme Zeitgenossen schien es weder auf unserem noch auf den anderen Stockwerken zu geben. Und was die Kleinigkeiten angeht, die das Leben so lebenswert machen: Die Office Ladies waren nicht hässlicher als anderswo, und in der Kantine arbeiteten Chinesen und Japaner, die wie Chefköche von Spezialitätenrestaurants bezahlt wurden und auch so kochten. Sechzig Kilometer nördlich von Tôkyô lag ein firmeneigener Golfplatz, und an zehn verschiedenen Orten gab

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