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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hindurch, auf der Suche nach meinem Herrn Inoue. Ich fand ihn auf der anderen Seite des Raumes, nahe am Fenster. Ihm saß ein sehr junger Mann gegenüber, der sich in diesem Moment erhob und sich mit zahlreichen tiefen Verbeugungen verabschiedete. Beim Rückwärtsgehen wäre er beinahe gegen mich gestoßen, doch ich wich ihm voraussehend aus, so weit die knappen Räumlichkeiten das erlaubten. Ich glaubte Erleichterung im Gesicht des Jugendlichen zu sehen und schloss daraus, dass er erreicht hatte, weswegen er auch immer hergekommen war, oder sich zumindest gute Chancen ausrechnete.
    Unwillkürlich beneidete ich den Glücklichen um seine Jugend.
    Inoue faltete ein Blatt zusammen, setzte dann eine riesengroße, altmodische Brille auf und tippte etwas in den Computer. Erst nach zwei Minuten schien er mich zu bemerken.
    „Oh, Herr Okamoto, nicht wahr? Bitte setzen Sie sich doch!“
    Steif nahm ich Platz und rückte den Stuhl so weit zurück, bis ich mich einigermaßen wohl fühlte. Inoue war kein unsympathischer Mann, etwa in meinem Alter, aber viel rundlicher und mit einer Löwennase, wie wir diese enorm kurzen, breiten Nasen zu nennen pflegen. Er wirkte gestresst und schwitzte, doch er lächelte auch und stand extra kurz auf, um sich höflich verbeugen zu können. Während er noch etwas am Computer fertig machte, schob er mir eine Schale mit Schokoladenbonbons zu, deren Einwickelpapierchen das Firmensignum trugen: Drei weiße Muscheln auf burgunderfarbigem Grund. Das gleiche Zeichen fand sich auch unauffällig auf seinem Anzug. Drei Muscheln, das bedeutete auch der Name der Firma: Mitsugai.
    Ich nahm mir eines der Bonbons, und er tat es mir gleich.
    „Herr Okamoto“, begann er kauend und schmatzend. „Ich will offen zu Ihnen sein.“
    Ich nickte. Das gute Gefühl, das ich für ein paar Sekunden gehabt hatte, verflüchtigte sich. Die Süße der Schokolade verwandelte sich in einen bitteren Geschmack. Mir schwante Übles.
    „Sehen Sie, das Problem ist, dass mir die Firmenleitung genau zwölf Minuten zugesteht, um herauszufinden, ob Sie für diesen Betrieb geeignet sind. Zwölf Minuten, die unter Umständen darüber entscheiden, ob Sie in den nächsten ein, zwei Jahrzehnten zu uns gehören oder nicht. Sie werden zugeben müssen, dass es fast unmöglich ist, in dieser kurzen Zeit eine solche Entscheidung zu fällen.“
    Ich gab es zu. Was erzählte er mir da? Lieferte er mir im Voraus eine Blanko-Entschuldigung ab, für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass sie mich nicht nahmen? Wenn es so aussichtslos war, dass er mich gar nicht zur Wort kommen ließ, warum hatte man mich dann überhaupt herzitiert? Nur, um mich zu demütigen?
    „Es wäre schön“, fuhr er fort und schielte schon wieder nach den Bonbons, „wenn Sie mir diese Entscheidung abnehmen könnten.“
    Ich muss ihn recht verständnislos angestarrt haben, denn er leckte sich die Lippen und sagte dann, sehr langsam, als spreche er zu einem Kleinkind:
    „Möchten Sie hier arbeiten?“
    „Ja“, erwiderte ich ohne Zögern, etwas verwundert.
    „Sie sind nicht nur hier, weil Sie irgendeinen Job brauchen, sondern weil Sie für Mitsugai arbeiten möchten?“
    „Ja“, log ich.
    „Sie sind ehrgeizig, bereit, Verantwortung zu übernehmen, und Sie möchten aufsteigen, Karriere machen?“
    „Nun, ich …“ Ich faltete das Papierchen in meiner Hand. „Für mich ist es nicht entscheidend, ob …“
    „Sie möchten aufsteigen!“, wiederholte er mit Nachdruck, und diesmal klang es gar nicht mehr nach einer Frage, eher, als ob er mich hypnotisieren wollte.
    „Ich … ja … ich habe nichts dagegen, wenn …“ Ich musste husten, sah zu, wie er sich ein zweites Bonbon nahm.
    „Herr Okamoto, Sie sind 46 Jahre alt“, stellte er fest. „Das gefällt uns.“ Das letzte Wort klang wie „umbsch“, denn er steckte sich die Schokolade in den Mund, während er es aussprach.
    „Warum gefällt Ihnen das?“ Die Frage rutschte mir so heraus. Ich hörte zum ersten Mal etwas Positives über mein Alter. Bei anderen Gesprächen hatte man so getan, als käme es einer karitativen Tat gleich, wenn man einen Über-Vierzigjährigen einstellte.
    „Warum? Weil Mitsugai eine Firma ist, in der man nicht lange auf einem Stuhl sitzen bleiben muss. Alles ist in Bewegung, man kann sich verändern, schnell vorwärts kommen. Aber wir können keine Fünfundzwanzigjährigen zu Abteilungsleitern machen, verstehen Sie? Mitarbeiter, die etwas reifer sind, lassen sich einfach besser

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