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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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richtigen Ort. Das ist mein Beruf. Und offen gestanden wäre ich überall sonst unglücklich.«
    Das verstand ich, obwohl ich erst seit viel kürzerer Zeit Reporterin war. Wenn ich an sein Können und seine jahrelange Erfahrung dachte, kam ich mir gleich noch unwissender vor. Zwei Stunden später reichte ich ihm etwas beklommen den Text, den ich geschrieben hatte, und machte mich im Gegenzug daran, den seinen durchzulesen.

31
    Sie verblüffte ihn.
    Er hatte befürchtet, dass das gemeinsame Schreiben sich als mühsamer und nervenaufreibender Prozess erweisen würde, der den doppelten Aufwand erforderte, bis die Story stand, und dass er ständig auf der Hut sein musste, um sie nicht zu beleidigen.
    Doch als sie vom Büro des Coroners zurückkam, voller Beobachtungen und Fragen nach den Yeagers, begann er zu bewundern, wie ihr Verstand arbeitete und dass sie Woolsey nicht gleich alles abgenommen hatte. Herrgott, sie hatte ja nicht mal ihm gleich alles abgenommen.
    Ob es nun daran lag, dass sie sich vollständig auf ihre Geschichte konzentrierten, oder daran, dass sie ihr Metier besser
beherrschte, als er erwartet hatte - jedenfalls war alles glatt gegangen. Sogar als sie - dieses vorlaute Ding - ihm sagte, dass er in seinem ersten Entwurf etwas übersehen hatte.
    »Was denn?«, hatte er gefragt.
    »Katy. Ich finde sie hier nicht wieder - nicht in der Form, wie Sie sie mir beschrieben haben. Nicht das Mädchen auf dem Porträt in Lillians Haus.«
    Im Stillen verfluchte er sie, weil sie Recht hatte, und machte sich wieder an die Arbeit.
    Er merkte, dass er sich ein bisschen mehr anstrengte als in der Zeit davor und sich in einer Weise auf seine Arbeit konzentrierte, wie er es seit Monaten nicht getan hatte. Schließlich wollte er ein Beispiel geben - und er war sich ihrer scharfen Beobachtungsgabe bewusst. Ein bisschen mühsam, aber auch anregend.
    Sie machte ein paar Fehler, nahm die von ihm vorgeschlagenen Änderungen jedoch bereitwillig auf. Wenn überhaupt, dann wollte sie von ihm lernen.
    Sie schrieben schnell - sowie er sich wieder über die Arbeit hermachte, lief es wie am Schnürchen - und waren rechtzeitig fertig, sodass John Walters seine Wette gegen H. G. gewann, der darauf gesetzt hatte, dass sie es nicht bis Redaktionsschluss schaffen würden.
    Sie hatte so froh ausgesehen, als sie den Text am Redaktionstisch ablieferte, dass er schmunzeln musste, wenn er daran zurückdachte.
    Die Stilmischung zwischen ihnen beiden war nicht so krass gewesen, wie er gefürchtet hatte. Im Grunde war ihr Stil gar nicht so viel anders als seiner. Er machte eine Bemerkung darüber, und sie sagte, das sei kein Wunder. »Ihre Artikel gehören zu meinem Leben, seit ich sieben oder acht bin.«
    Das hatte ihn einen Moment lang sprachlos gemacht. Die tägliche Schinderei, damit die Zeitung erscheinen konnte, ließ ihn von einem Redaktionsschluss zum nächsten denken, aber nicht in Zeiträumen von mehreren Jahren.

    Sie war jünger als sein Sohn. Er hatte schon seit einigen Jahren für die Zeitung geschrieben, als Kenny zur Welt kam.
    Er fragte sich, ob es ihrem Vater Sorgen bereitete, dass sie in dieser Branche arbeitete, wo sie die harte Seite der Welt zu sehen bekam und Tag für Tag mit zwielichtigen Typen zu tun hatte. Er blickte sich um und runzelte die Stirn. Auch in der Redaktion liefen zwielichtige Typen herum. Er beschloss, mal ein paar Takte mit Wildman zu reden.
    »Zeigen Sie mir morgen, was in der Schachtel ist?«, fragte sie.
    »Klar. Oder heute Abend, wenn Sie wollen.«
    »Verlockend, aber ich muss nach Hause zu meinem Vater.«
    Gemeinsam gingen sie hinaus zum Parkplatz, ohne ein Wort zu sagen. Er kam als Erster an seinem Auto an, blieb daneben stehen und sah ihr nach, wie sie zu dem kleinen Karmann Ghia marschierte und in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln kramte.
    Aus dem Augenwinkel nahm er am Zaun des Parkplatzes vor dem Wrigley Building eine Bewegung wahr. Das Licht war düster, und jenseits des Parkplatzes konnte er kaum mehr als Schatten erkennen, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass dort jemand war. Er hielt nach einer weiteren Bewegung Ausschau und lauschte auf Schritte.
    Da sagte sie: »Gute Nacht, O’Connor. Noch mal vielen Dank.«
    Er wandte sich zu ihr um und sah einen winzigen Moment lang das Bild einer ganz anderen jungen Frau, einer Schwester, die er an einem lange zurückliegenden Abend verloren hatte. Auf ihrem Nachhauseweg zu einem Vater, der auf sie wartete.
    »Ich möchte, dass Sie sicher

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