Totenruhe
Gangster.«
»Jemandem muss er etwas bedeutet haben, da Sie ja nach ihm benannt worden sind.«
»Oh, mein Vater hielt große Stücke auf ihn.« Er stockte plötzlich und korrigierte sich: »Mitch, meine ich.« Er wandte kurz den Blick ab, ehe er fortfuhr. »Die meiste Zeit hat es mich nicht gestört, dass ich nicht wusste, wer meine leiblichen Eltern waren. Nachdem meine Mutter - Estelle - gestorben war, wollte ich dann aber doch wissen, wer sie gewesen sind, und habe immer wieder über sie nachgegrübelt. Der Vorteil war allerdings, dass ich, immer wenn ich mitgekriegt habe, wie bescheuert sich Mitch aufführt, gewusst habe, dass er nicht mein Vater ist. Ich war immer frei von ihm - ich habe nichts von ihm geerbt.«
»Ich glaube, ich kann beide Aspekte verstehen. Bestimmt wäre ich mit der Zeit auch neugierig geworden.«
»Mehr als Neugier ist es offen gestanden bei mir momentan auch nicht. Ich kenne Leute, die ihre Vorfahren bis zur Mayflower oder noch weiter zurückverfolgen können, deren eigenes Leben aber nichts Besonderes gewesen ist. Also habe ich mir gesagt, dass das einzig Ausschlaggebende ist, was ich selbst aus meinem Leben mache. Wer ich bin und was aus mir wird.«
»Finde ich auch.«
»Und ich hatte unglaubliche Vorteile, das kann ich gar nicht leugnen. Estelle Yeager hat mich geliebt. Ich bin weder in Armut aufgewachsen, noch bin ich wegen meiner Hautfarbe diskriminiert worden. Ich hatte nie gesundheitliche Probleme. Mann, allein in diesem Land geboren worden zu sein ist schon
ein Grund zur Dankbarkeit. Es gibt unzählige Schauergeschichten darüber, was mit Waisen passieren kann, also muss ich sagen, dass ich es für ein uneheliches Kind wirklich gut getroffen habe. Mitch Yeager liebt mich vielleicht nicht, und womöglich hat er von Anfang an geplant, mich für seine eigenen Zwecke zu benutzen, aber er hat einen Haufen Geld für mich ausgegeben.«
»Ich weiß, wie Sie das mit den Vorteilen meinen«, sagte ich, »und vielleicht hatten Sie es wirklich nicht so schlecht wie andere Waisen, aber hat es Ihnen denn nichts ausgemacht, dass man Sie in ein Internat abgeschoben hat?«
»Wenn ich nicht aufs Internat gegangen wäre, wäre ich von Mitch aufgezogen worden, und ich glaube nicht, dass das so toll gewesen wäre. Der Rektor meiner Schule hat mich sogar quasi unter seine Fittiche genommen und wurde ein besserer Adoptivvater für mich als Mitch. Also habe ich in der Hinsicht auch Glück gehabt.«
»Noch mal ein bisschen zurück. Sie haben gesagt, dass Mitch Sie benutzen wollte. Wie denn?«
Er stocherte an seinem Steak herum. »Sonya, seine neue Frau, ist ja ganz nett, aber nicht die hellste. Die Kinder, die er mit ihr hat, kommen laut Mitch nach ihrer Mutter. Ich kenne sie kaum, insofern kann ich nichts dazu sagen. Auf jeden Fall wollte er, dass ich eine Art Geschäftsführer seiner Firmen werde, zusammen mit meinen Vettern - Eric und Ian. Wir hätten dafür sorgen sollen, dass seine Kinder reicher sterben als er selbst.«
»Und was hätten Sie dafür bekommen? Oder hätten Sie einfach nur dankbar sein sollen, dass Sie sich ihm dafür erkenntlich zeigen dürfen, Sie adoptiert zu haben?«
»Nein, ich hätte durchaus etwas dafür bekommen. Eine großzügige Entschädigung.«
Ich musterte ihn. »Aber Sie haben ihm den Rücken zugekehrt, indem Sie Warrens Angebot angenommen haben.«
»Oh ja. Mitch ist wahnsinnig wütend auf mich. Das kann ich ihm nicht übel nehmen. Ich habe ihm sogar angeboten, ihm alles zurückzuzahlen, was er für meine Erziehung und Ausbildung ausgegeben hat. Es wäre mir peinlich zu wiederholen, was er darauf erwidert hat, aber letztlich hat er mir erklärt, dass er das Geld nicht wolle, weil er die Verantwortung für mich hätte und er sich noch nie einer Verantwortung entzogen habe.«
»Aua. Ich bin katholisch erzogen worden, daher kenne ich diese Waffe. Das schlechte Gewissen.«
»Ja. Aber offen gestanden habe ich gar kein schlechtes Gewissen gegenüber Mitch. Vielleicht sollte ich, aber dem ist einfach nicht so. Ich fand es furchtbar, wie er meine Mom behandelt hat. Ich habe mich sogar gefragt, ob … ach, vergessen Sie’s. Ich habe ihm nie nahe gestanden, aber das ist nicht das Problem. Er ist eben … wie soll ich das beschreiben? Er wickelt die Leute ein.«
»Also haben Warren Ducane und Auburn Sheffield Ihnen einen Weg aus Mitchs Falle gewiesen.«
»Genau.«
»Wissen Sie, irgendwie habe ich das Gefühl, dass mehr dahinter steckt. Auburn hat gesagt, dass Sie
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