Totenruhe
bestimmt gern ein paar Abzüge nachmachen«, versicherte ich ihm.
Detective Lefebvre ignorierte mich und studierte die Fotos. »Ich habe ein paar Bilder von ihr auf der Party, auf denen sie die Diamanten trägt«, sagte er, »aber keine, auf denen nur die Halskette zu sehen ist. Danke - die helfen mir weiter.«
Kurz darauf gingen wir. Ich erzählte Lefebvre von den Chesterfields und dem Feuerzeug, das Jack Katy geschenkt hatte. Er notierte sich alles. Ich dankte ihm, dass er mich mit zum Juwelier genommen hatte, und verabschiedete mich bis zu unserem Abendtermin von ihm. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um mit Dad und Tante Mary zu Abend zu essen.
Auf dem Heimweg hatte ich den Eindruck, dass mir jemand in einem dunklen Wagen folgte. Ich bog ein paarmal unnötigerweise ab, um in weniger befahrene Straßen zu gelangen, wo es einem Verfolger schwerer fiele, von mir unbemerkt zu bleiben. Nichts.
Ich ermahnte mich selbst, mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen zu lassen, und fuhr weiter.
38
O’Connor betrat als letzter von den vieren die Diele der Ducane-Villa und fühlte sich auf der Stelle von Geistern umringt. Das Haus war noch ziemlich genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Er dachte an die vier Mordopfer - an Katy, Todd und den Kleinen, vor allem aber an das Kindermädchen, dessen Blut er an diesem regnerischen Abend vor über zwanzig Jahren gesehen hatte. Er dachte an all das, was in einer so kurzen Zeitspanne an diesem Abend geschehen war, und wie viel davon um diesen Haushalt kreiste.
Er musste daran denken, mit welchem Nachdruck Jack darauf bestanden hatte, dass er sich in dieser Nacht nach Katy umsah, und dass Jack nicht halb so viele Gedanken an seine eigenen Verletzungen verschwendet hatte (oder daran, dass er O’Connor in den Regen hinausschickte) wie an Katy. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass Jack seine Vermutung erwähnt hatte, etwas würde Katy belasten. Er dachte an den Zettel, den sie Jack zugesteckt hatte und auf dem sie ihn fragte, ob Mitch ihr Vater sei, und überlegte, ob es wohl das gewesen war, was sie an diesem Abend bedrückt hatte. Er trauerte um sie, jetzt, wo er fast genauso alt war wie Jack damals, während sie im selben Alter gewesen war wie Max Ducane heute.
Als Max die Lichter einschaltete, ließ die enorme Sauberkeit das Haus noch leerer wirken, fast wie ein gut gepflegtes Museum, und verstärkte O’Connors Beklommenheit.
Er musterte Irene und Lefebvre. Lefebvre sah sich um, ohne durch seinen Gesichtsausdruck seine Gedanken oder Gefühle preiszugeben. Er hielt einen großen braunen Umschlag in der Hand - Fotos vom Tatort, hatte er ihnen gesagt. Irene dagegen sollte sich lieber nie von jemandem zum Pokern überreden lassen. Ihr sah man die Betroffenheit an - ausgelöst von den Gedanken daran, was sich vor zwanzig Jahren hier abgespielt hatte, oder vielleicht auch davon, dass das Haus in einem anderen Jahrzehnt erstarrt zu sein schien. Sie hatte eine kleine Kamera um den Hals hängen, dieselbe, die sie auch bei der Grundsteinlegung dabeigehabt hatte, benutzte sie aber nicht.
»Hast du nicht gesagt, das Haus hätte zwanzig Jahre lang leer gestanden?«, sagte sie zu Max. »Es liegt aber nirgends Staub.«
»Lillian hat jemanden engagiert, der regelmäßig sauber macht«, erklärte Max. »Unheimlich, was?«
»Echt unheimlich.« Beklommen sah sie O’Connor an. »Ich meine … Lillian hat ja wohl ihr Leben weitergelebt, aber dieses Haus sieht scheinbar noch genauso aus wie damals.«
Er dachte an sein eigenes Beschützerverhalten gegenüber Maureens Zimmer, und wie schlimm es für ihn gewesen war, als seine älteste Schwester dort eingezogen war. »Die Familien von Vermissten können nicht so leben wie andere Leute. Wenn man weiß, was mit jemandem passiert ist - dass der Betreffende weggezogen oder gestorben ist oder lieber mit jemand anders leben wollte -, dann kann man mit dem Verstand loslassen, auch wenn das Herz dafür ein bisschen länger braucht. Wenn ein Mensch, den man liebt, vermisst wird, ohne jede Erklärung verschwunden ist, möchte man sich vielleicht an allem festhalten, was mit demjenigen zu tun hat, an allem, was solide und normal ist und eine Erinnerung daran birgt, dass der Betreffende da war. Wenn man einen Platz für die Verschwundenen bewahrt, kommen sie vielleicht zurück. Man fürchtet, wenn man aufhört, an sie zu denken - und Erinnerungen lassen ja nach -, verschwindet der geliebte Mensch in noch endgültigerer Form. Das kommt einem wie ein
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