Totenruhe
hinterließ ihr eine Nachricht, in der ich ihr versicherte, dass ich weder mit ihr über Dad reden noch sie auffordern wolle, sich um ihn zu kümmern. Nur ein Schwesterntreff.
Ich brachte Mary zu ihrem Wagen und bedankte mich noch einmal bei ihr. Nachdem sie weggefahren war, hatte ich das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Ich sah mich um, konnte aber niemanden entdecken.
Ich ging wieder hinein und rief noch einmal bei Barbara an.
Ich hörte nichts von ihr.
Das störte mich nicht besonders, da es in den nächsten Tagen richtig rundging.
40
Als sie die Bilder auf der Titelseite des Express sah, bekam die Frau, die früher einmal Betty Bradford geheißen hatte, einen solchen Schreck, dass sie die Zeitung in den Küchenmüll warf. Im selben Moment kam ihr Mann die Treppe herunter. Er zog sie auf, als sie die Zeitung wieder herausangelte, und witzelte, dass sie wohl langsam zerstreut wurde. »Bloß weil heute Samstag ist, heißt das nicht, dass ich mich nicht über das aktuelle Tagesgeschehen informieren will«, erklärte er.
Sie lachte und erklärte, ihr sei schleierhaft, was sie sich dabei gedacht habe. Sie war eine überzeugende Schauspielerin. Seit fünfzehn Jahren war die ganze Welt ihre Bühne.
Sie war die Frau geworden, deren Rolle sie spielte. Eine anständige Frau.
Wie sie dieses Wort liebte - anständig.
Sie hatte keinen Bissen frühstücken können. Von dem Moment an, als er die Zeitung in die Hand nahm, bis zu dem Moment, als er die Jungen zum Baseballtraining brachte, fürchtete sie, dass er das Bild von ihr sehen und Fragen stellen würde. Zwanzig Jahre, ein paar Kilo mehr und eine andere Haarfarbe - war das genug, um zu verhindern, dass ein Mann seine Frau erkannte?
Jetzt, ein paar Stunden später, während er die Jungen zum Schwimmunterricht fuhr, stand sie stocksteif an der Spüle, die Hände in gelben Gummihandschuhen, und starrte zu ihrem Panoramafenster hinaus. Die Wärme des seifigen Wassers drang durch die Handschuhe, und sie genoss dieses simple, alltägliche Gefühl.
Sie sah zu dem Rasen vor dem Haus hinaus und auf die
Nachbarhäuser. Ein gutes Viertel. Eines, wo die Leute dachten, das Problemkind sei der langhaarige Junge, der in einer Band spielte. Er war nicht das Problem. Er rauchte ab und zu mit seinen Freunden ein bisschen Dope und spielte zu laut auf seiner Gitarre, aber er hatte ein gutes Herz. Er würde nie jemandem etwas zuleide tun. Sie sollten lieber alle den schweigsamen, mürrischen Jungen im Auge behalten, der drei Häuser weiter wohnte.
Sie wusste, woran man jemanden erkannte, der Ärger machte.
Sie war ja selbst so jemand gewesen.
Sie dachte nicht gern daran zurück, aber nun stand es da, vor ihr in der Zeitung. Sie blickte zu der Stelle hinüber, wo sie auf der Arbeitsfläche lag, voller Flecken von dem Kaffeesatz im Müll, wandte den Blick rasch wieder ab und sah erneut zu dem sonnigen Tag vor ihrem Fenster hinaus. Sie dachte an eine kleine Schachtel, in der sich etwas befand, das sie einem mächtigen Mann gestohlen hatte, etwas, das sie schon mehrere Male beinahe weggeworfen hätte. Vielleicht, so überlegte sie, sollte sie es jetzt wegwerfen.
Sie sagte sich, dass ihr Mann, selbst wenn er die Wahrheit erfuhr, sie weiterhin lieben und zu ihr stehen würde.
Doch eigentlich glaubte sie es nicht wirklich.
Sie hatte nur einen Mann gekannt, der zu ihr gestanden und sie so akzeptiert hatte, wie sie war. Ein harter Mann, der aber sanft zu Frauen war und sanft zu ihr. Der ihr geholfen hatte, einen Weg zu finden, um von dem wilden und ruhelosen Ding, das sie gewesen war, zu einer Frau zu reifen. Und zwar nicht zu einem albernen Abklatsch von Frau, sondern zu etwas Echtem. Einfach, indem er sie respektiert hatte.
Doch dieser Mann war in Mexiko gestorben. Er hieß Luis - kurz nachdem sie ein Paar geworden waren, hatte sie aufgehört, ihn Lew zu nennen, die anglisierte Version seines Namens.
»Luis«, flüsterte sie jetzt, »was soll ich nur tun?«
41
Am Samstag gab der Coroner eine Sonderverlautbarung heraus. Er befand sich in der peinlichen Lage, zugeben zu müssen, dass eine eingehendere Untersuchung der Knochen ergeben hatte, dass sie von einem kleinen Hund stammten, vermutlich Katy Ducanes Mops. Lefebvre erzählte mir später, er habe seinen Partner Matt Arden dazu überredet, als Überbringer der schlechten Nachrichten zu fungieren. Ich hatte das Gefühl, dass Arden oft als Botschafter für Lefebvre herhalten musste.
Woolsey machte einen Assistenten für
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