Totenruhe
News gefunden hatte. Ich zählte ihr kurz die Belegschaft von News und Express auf, jedenfalls, so weit sie mir bekannt war. »Ich kenne nur wenige von denen, die hier gearbeitet haben, ehe ich 1978 selbst hier angefangen habe«, sagte ich.
»Was ist aus Wildman geworden?«, wollte sie wissen.
»Kam bei einem Autounfall ums Leben. Er war betrunken. Die Familie in dem anderen Wagen hat’s auch nicht überlebt.«
»Ist ja übel.«
»Allerdings.«
Sie gab mir die Rollen vom April 1936, die nahe am Datum von O’Connors Kinderaufsatz »Was ich bei Gericht gesehen habe« lagen. Ich fing ein paar Wochen vor Beginn seines ersten Tagebuchs an und arbeitete mich vorwärts. Es dauerte nicht lange, bis ich es gefunden hatte, dick und fett auf der Titelseite. Eine Riesenschlagzeile, wie sie einem Artikel gebührte, den Jack Corrigan verfasst hatte, der Starreporter des Express . Ich stellte mir vor, wie ein achtjähriger irischer Junge die Schlagzeile an der Straßenecke ausrief:
VERHANDLUNG GEGEN YEAGER-BRUDER BEGINNT HEUTE
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Der Artikel berichtete von der Eröffnung des Verfahrens gegen Mitchell Yeager, den einundzwanzig Jahre alten Bruder von Adam Yeager, der im selben Jahr wegen Hehlerei verurteilt worden war, der massivsten Anschuldigung, die die lokalen Behörden gegen ihn ins Feld führen konnten. Wie es hieß, saß
er zum genannten Zeitraum seine Strafe in San Quentin ab. Mitch Yeager war wegen Bestechung im Zusammenhang mit der Verhaftung seines Bruders angeklagt. Offenbar hatte er den falschen Beamten zu bestechen versucht. Corrigan erwähnte auch, dass die Verteidigung aufgrund der Krankheit des Bruders des Beklagten eine Vertagung beantragt hatte. Der Antrag wurde abgelehnt.
Nun hatte ich also Adam Yeagers Todesjahr mitsamt einem Hinweis auf die Todesursache. Krankheit. Ich hätte eher eine Schlägerei oder einen Ausbruchsversuch vermutet.
Beim Weiterlesen hielt ich Ausschau nach einer Erwähnung von Adams Tod. Angesichts dessen, was ich O’Connors Bericht über seine Beobachtungen im Gerichtssaal entnommen hatte, wunderte es mich nicht weiter, dass die erste Verhandlung gegen Mitch Yeager ergebnislos zu Ende gegangen war. Nachdem Yeager zuvor gegen Kaution freigekommen war, wurde dies nun widerrufen, und man nahm ihn unter der Anklage, Geschworene beeinflusst zu haben, in Untersuchungshaft. Der Richter ordnete außerdem eine neue Verhandlung bezüglich der Bestechungsvorwürfe an.
Aus Corrigans Berichten erfuhr ich, dass die Anklage wegen Beeinflussung von Geschworenen später fallen gelassen wurde. Niemand konnte beweisen, dass Yeager einem Mann, von dem jeder wusste, dass er einer seiner Lakaien war, aufgetragen hatte, eine Geschworene einzuschüchtern. Am Ende des Beitrags, in einem letzten Abschnitt, der über eine Seite lang war, erwähnte Corrigan, dass Adam Yeager, der Bruder des Beklagten, kurz zuvor an Tuberkulose gestorben war. Das war verwunderlich, und ich überlegte, ob es irgendwelche Komplikationen gegeben oder man ihm die Behandlung verweigert hatte.
Ich setzte mich an einen Computer-Arbeitsplatz im Archiv und recherchierte im Internet die Geschichte der Tuberkulosebehandlung. Effektive Medikamente gegen Tbc wurden erst
nach 1944 eingesetzt. Adam Yeager war acht Jahre zu früh krank geworden.
Die zweite Verhandlung wegen Bestechung führte zu einer Verurteilung, die jedoch später aufgehoben wurde. Mitch Yeager kam frei.
Der lange und - Yeager gegenüber - wohlwollende Artikel über die Aufhebung der Haftstrafe war nicht von Jack Corrigan verfasst worden. Der Name des Reporters sagte mir nichts. Er überschlug sich fast, um Yeager in eigenen Worten seine Unschuld beteuern zu lassen. Ich notierte mir die Daten, damit ich die Geschichte in der News gegenlesen konnte.
Ich fragte Hailey, ob sie mir ein paar Artikel über alte Verbrechen heraussuchen würde, die mittels moderner DNA-Untersuchungen aufgeklärt werden könnten, und sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
»Folgendes sind die Bedingungen«, sagte ich. »Erstens muss ich die Sache mit John und Lydia abklären. Zweitens musst du mir versprechen, dass du deine Dateien und Notizen sicher verwahrst - vor allem vor Ethan.« Wir debattierten eine Weile, wie sie das bewerkstelligen konnte - verschlüsselte Sprache, wann immer möglich Papier statt des Computers benutzen, Passwörter häufig wechseln, den Verlauf in ihrem Browser löschen und ihre Notizen immer bei sich tragen. Ich glaube, der Spionageaspekt interessierte sie mehr
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