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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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wie immer.«
    Nach weiterem kurzen Grübeln sagte er: »Du magst Ethan nicht besonders, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Ich habe Gerüchte über Probleme mit dem Passwort für deinen Computer gehört.«
    Meine Augen verengten sich zu Schlitzen.
    »Es war niemand aus der Redaktion, der mir das erzählt hat«, sagte er und interpretierte damit meinen Blick ganz richtig. »Die Technik hat mich verständigt. Was in meinen Augen eine verdammte Schande ist, weil ich finde, eine gewisse Reporterin müsste so schlau sein, dass sie gleich zu mir kommt und mir selbst davon erzählt.«
    »Findest du? Wenn ich keinerlei Beweise habe?«
    »Nein«, räumte er grollend ein. Nach langem Schweigen seufzte er und sagte: »Wrigley findet, dass wir alle zu alt werden. Zuerst dachte ich, er will nur junge Frauen haben, denen er nachstellen kann, weil das ja eine seiner Lieblingsbeschäftigungen ist. Aber er hält große Stücke auf Ethan - er betrachtet ihn als die strahlende neue Hoffnung des Express .«
    »Das liegt daran, dass Ethan sein eigener, lange verschollener Sohn sein könnte. Sein moralischer Klon.«
    John lächelte. »Mag sein. Manchmal sehe ich mir an, welchen Weg Wrigley für die Zukunft der Zeitung vorgesehen hat, und ich weiß nicht, ob ich ein Teil dieser … dieser Vision sein will. Aber dann frage ich mich wieder, was ein alter Zeitungshengst wie ich denn sonst mit seiner Zeit anfangen soll.«

    »Hoffentlich so schnell nichts anderes, wenn’s nach mir geht. Du genießt das Vertrauen der Kollegen und des Vorstands, John. Du weißt, dass der Vorstand Wrigley raussetzt, wenn es sein muss. Und wenn ich mich irre und sie zulassen, dass er uns in die Katastrophe führt und die ganze Zeitung verkauft wird, dann gehen wir eben gemeinsam. Wir können ja auch mit Bungee-Jumping oder irgendwas in der Art anfangen, das uns den gleichen Adrenalinstoß verschafft.«
    Er sagte nichts.
    »Scheiße«, sagte ich und setzte mich. »Der Vorstand erwägt also allen Ernstes, sie zu verkaufen.«
    »Klappe, Kelly. Keiner von uns beiden hat etwas davon, wenn wir darüber reden, und die Redaktion hat nichts davon, wenn sich alle darüber den Kopf zerbrechen. Aber so wie ich diesen Haufen kenne, werden sie sowieso früh genug davon erfahren. Es ist unmöglich, in einer Redaktion ein Geheimnis zu bewahren.«
    »Von mir werden sie es nicht erfahren.«
    »Ich weiß.«
    Ich sah durch sein Bürofenster in die Redaktion hinein. Die meisten Lampen waren aus, und große Teile des Raums wurden nur vom Leuchten von ein oder zwei Monitoren erhellt, die nicht auf Energiesparmodus geschaltet hatten. Selbst in den hektischsten Stunden herrschte in der Redaktion nicht mehr so viel Lärm wie damals, als ich dort angefangen hatte, doch dieser ruhige, verlassene Raum war gespenstisch still, selbst nach aktuellen Maßstäben. Ich dachte an all die Männer und Frauen, die für wenig Geld und wenig Dank hart gearbeitet und darum gerungen hatten, Tausende von Worten zu Papier zu bringen, um den Tag in Las Piernas zu beschreiben, und die das mehr als ein Jahrhundert lang tagaus, tagein getan hatten. Wer würde die Geschichte dieser Tage erzählen, wenn es keine Zeitung mehr gab?
    Ich hörte und spürte das Rattern der Druckerpressen.

    Alles lag im Schlummer. Die Zeitung war in Druck gegangen, die Redaktion ruhte. In ein paar Stunden würde die Frühschicht auftauchen, und alles finge wieder von vorne an.
    »John«, sagte ich. »Lass uns einen Pakt schließen.«
    Als ich mich umwandte, sah ich, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hatte.
    »Warum habe ich nur das Gefühl, dass mir ein Pakt mit dem Teufel besser bekommen würde?«
    »Nicht kapitulieren heißt die Parole.«
    »Wir wissen beide, dass das nicht in unserem Ermessen liegen wird.«
    »Wenn es so weit kommt, in Ordnung. Aber nicht früher.«
    Er streckte mir seine dicke Pranke hin, und ich ergriff sie.
     
    Durch den dunklen Redaktionsraum ging ich zu meinem Schreibtisch. Das Lämpchen meiner Voice-Mail-Anzeige blinkte, und so hörte ich meine Nachrichten ab. Ich hatte einen Anruf von Max bekommen, doch er sagte nur, wie schade es sei, dass er mich nicht erwischt hatte. Er klang fröhlich. Während ich weiter lauschte, winkte John mir zum Abschied zu und ging.
    Die nächsten fünf Nachrichten stammten von Leuten, die Ämter in der Lokalpolitik bekleideten und hofften, ich würde sie in der Zeitung erwähnen.
    Der letzte Anrufer hinterließ weder seinen Namen, noch erkannte ich seine Stimme. Er hatte um

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