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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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genau weiß, was du im Schilde führst, falls ich im Schlaf abkratze.«
    Lillian blickte drein, als hätte man sie geohrfeigt.
    »Ja«, bekräftigte Helen. »Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten …«
    »Das reicht!«, zischte Lillian.
    Sie standen da und funkelten sich an.
    Ich sah zu der Haushälterin hinüber, deren große blaue Augen signalisierten, dass sie ein fasziniertes Publikum abgab.
    »Vielleicht sollten wir lieber in ein Zimmer gehen, wo wir das in aller Ruhe diskutieren können«, wagte ich mich in die Kampfzone.
    Alle beide durchbohrten mich nun mit Blicken, ehe sie begriffen, dass ich nicht der Feind war - zumindest noch nicht -, und erbarmten sich ein wenig. Lillian warf einen Seitenblick auf ihre Haushälterin. »Ja. Gehen wir in die Bibliothek.«
    »Soll ich Ihnen irgendetwas bringen, Ma’am?«, fragte die Haushälterin hoffnungsvoll. Sie hatte einen osteuropäischen Akzent, den ich nicht ganz einordnen konnte.
    »Nein, vielen Dank, Bella«, erwiderte Lillian.
    »Ich räume nur schnell die …«
    »Das kann warten«, sagte Lillian. »Danke. Das ist im Moment alles.«

    In der Bibliothek brannte bereits ein Feuer im Kamin, eine Kaffeemaschine war hereingebracht worden, und auf einem Beistelltisch standen mehrere Porzellantassen, von denen drei benutzt waren.
    »Oh, Lillian, wie konntest du nur?«, stieß Helen außer sich hervor. »Du hast es schon getan, stimmt’s?«
    »Was getan?«, fragte ich.
    »Eingewilligt, eine Blutprobe für die DNA-Untersuchung abzugeben«, sagte sie lässig. »Bitte setz dich doch, Helen. Sie auch, Irene. Der Kaffee ist noch frisch und heiß. Möchtet ihr welchen?«
    Wir bejahten beide. Ich musterte Lillian, während sie ihren Pflichten als Gastgeberin nachkam. Wie immer war sie wie aus dem Ei gepellt. Ein schickes Seidenkostüm. Einfacher, aber ungewöhnlicher Schmuck. Sie war immer noch eine Frau mit Präsenz und wirkte jünger, als sie in Wirklichkeit war. Doch war sie in gewissen Aspekten, die nicht leicht zu benennen waren, nicht so gut gealtert wie meine Tante Mary oder Helen. Obwohl sie sich offenbar mehrfach das Gesicht hatte liften lassen, hatte niemand etwas Entsprechendes mit ihrer Stimmung gemacht. Das Unglück hatte im Lauf der Jahrzehnte seine Spuren hinterlassen, und auch wenn Lillian weit mehr Luxus und Annehmlichkeiten genoss als Mary oder Helen, ertappte ich mich dabei, dass sie mir Leid tat.
    Wir nahmen allesamt Platz und tranken Kaffee. Keine sagte ein Wort. Ich würde garantiert nicht diejenige sein, die Feuer an die Lunte legte. Allmählich machte ich mir Sorgen um Helen, die inzwischen doppelt so wütend wirkte wie vor unserer Ankunft. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Max freute sich bestimmt. Warum war Helen dermaßen aufgebracht?
    Schließlich sagte Lillian: »Wie geht es Ihnen, Irene? Ich habe Sie schon lange nicht mehr gesehen.«
    »Gut«, antwortete ich. »Und Ihnen?«

    Statt zu antworten, erkundigte sie sich nach Frank. Es war mir ein Leichtes, über Frank zu sprechen.
    Nachdem das etwa fünf Minuten so gegangen war, sagte Helen auf einmal: »Im Grunde liegt dir gar nichts an ihm, oder? Nicht ernsthaft.«
    »An Frank?«, fragte Lillian.
    »Du weißt genau, dass ich nicht Frank meine! Dir liegt nichts an Max!«
    »Natürlich liegt mir etwas an Max. Deshalb habe ich mich ja zu dem entschlossen, was ich getan habe.«
    »Ach, wirklich? Und was glaubst du, was passiert, wenn die Yeagers erfahren, dass du Blut für eine DNA-Untersuchung abgegeben hast?«
    »Mitch ist nicht dumm, Helen …«
    »Ich habe ihn nie so genau in Augenschein genommen wie gewisse andere Leute.«
    »… auch wenn du eine noch so schlechte Meinung von ihm hast«, fuhr Lillian fort. »Er weiß jetzt schon seit Jahren, dass das möglich ist. In letzter Zeit haben sich in den Medien die Beiträge über die Bandbreite von DNA-Untersuchungen gehäuft, und ich wette, er rechnet damit, dass Max seine Abstammung erforschen will. Mitch muss klar sein, dass ich mich jederzeit zu einer Untersuchung bereitfinden kann und er mit peinlichen Fragen konfrontiert wäre, falls sich herausstellen sollte, dass Max das verschwundene Kind ist.« Sie wandte sich mir zu. »Womöglich ist es ja von Vorteil, dass Sie heute mit dabei sind. Vielleicht könnte in der Zeitung von morgen ein Beitrag erscheinen, in dem steht, dass ich meine Blutprobe bereits abgegeben habe? Natürlich nur, wenn Sie das für berichtenswert halten.«
    »Sie macht nicht das Layout für die Titelseite, weißt du«,

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