Totenruhe
ihm Katy gegeben hat, obwohl es ihm nur wehgetan hat, ihn anzuschauen. Ich habe ihm schließlich gesagt, er soll ihn Conn geben, und Conn würde ihn dann zusammen mit all den Dingen aufbewahren, die die beiden bei ihren Recherchen darüber gesammelt haben, was in dieser Nacht geschehen ist.«
»Du weißt nicht, ob Conn ihn aufbewahrt hat!«, entgegnete Lillian. »Bitte …«
»Oh doch, er hat ihn aufbewahrt. Er hat ihn mir gegenüber erwähnt, als Eric und Ian 1978 vor Gericht gestanden haben.
Wenn er ihn damals noch hatte, hat er ihn auch weiter behalten.« Helen wandte sich mir zu. »Auf dem Zettel steht ›Stimmt es, dass Mitch Yeager mein Vater ist? Du bist der Einzige, der bereit ist, mir die Wahrheit zu sagen.‹« Sie musterte Lillian scharf, während sie den letzten Satz aussprach.
»Katy hat gedacht, Mitch Yeager sei ihr Vater?«, fragte ich verblüfft.
»Verdammt noch mal, Nell. Was hast du mir angetan?«
»Es geht immer nur um dich, was, Lily? Langsam habe ich es satt.«
»Aber … Helen«, hakte ich nach, »willst du damit sagen, dass Mitch Yeager glaubt, Max sei sein Enkel?«
»Ja. Zumindest besteht die Möglichkeit, dass er das glaubt.«
»Stimmt das?«, fragte ich Lillian. »War Mitch Yeager Katys Vater?«
»Nein. Das habe ich ihm wieder und wieder versichert.«
»Aber er hat Grund zu der Annahme, dass er es sein könnte?«
»Ich glaube nicht, dass ich das beantworten muss.«
»Schluss mit dem Schwachsinn. Entweder sagst du es ihr, oder ich tu’s.«
»Du grässliche alte Giftspritze!«, fauchte Lillian.
Ich dachte an O’Connors Tagebücher zurück. »Katy ist im Januar 1958 einundzwanzig geworden, also ist sie im Januar 1937 geboren und muss daher im April oder Anfang Mai 1936 gezeugt worden sein. Eventuell auch ein bisschen später, aber zu früh geborene Kinder hatten damals keine so guten Überlebenschancen, also ist eher anzunehmen, dass sie schon im April oder Mai gezeugt worden ist. Um diese Zeit hat Mitch Yeager vor Gericht gestanden, doch er war den größten Teil des Monats April auf freiem Fuß.«
»Weiter«, sagte Helen, was einen weiteren Einspruch von Lillian zur Folge hatte. Helen zuckte die Achseln und erklärte: »Dann sag es ihr selbst.«
»Ich … ich war ein dummes junges Ding«, sagte Lillian bitter. »Mitch und ich hatten eine Zeit lang eine wechselhafte Affäre mit vielen Unterbrechungen. Ich war ziemlich behütet, und das war meine Rebellion. Irgendwie fand ich ihn aufregend.«
»Sie sind in diesem Jahr aber auch mit Jack Corrigan ausgegangen«, sagte ich. »Das habe ich O’Connors Tagebüchern entnommen.«
»Seine Tagebücher! Er war noch ein Kind!«
Helen lächelte. »Jack hat ihm empfohlen, Tagebuch zu führen, Lillian. Conn hat auch kleine Geschichten über alles geschrieben, was er gesehen und gehört hat.«
»Über alles?«, fragte Lillian matt.
»Jack hat mir ein paar davon gezeigt, als er angefangen hat, ihm ›Aufträge‹ zu geben - sie waren echt phänomenal. Jack hat immer gesagt, dass Conn mit einem Bleistift in der Hand auf die Welt gekommen ist, und ich glaube, das stimmt.«
Lillian runzelte die Stirn. »Ja, ich bin mit Jack ausgegangen. Wahrscheinlich in erster Linie, um Mitch und Harold eifersüchtig zu machen.«
Ich musste an O’Connors Beobachtungen denken und fragte mich, ob das stimmte. Doch das sagte ich nicht - in Helens Gegenwart konnte ich nicht. Ich fragte mich ohnehin schon, ob ich meine große Klappe über Jacks frühere Affären hätte halten sollen.
Helen schien allerdings ganz und gar nicht gekränkt darüber zu sein, dass Lillian davon sprach, mit Jack ausgegangen zu sein, sondern hatte einen wissenden, ja fast schon selbstzufriedenen Blick aufgesetzt. Vielleicht war ihr Jacks Vergangenheit egal, da sie schließlich die Einzige gewesen war, die er geheiratet hatte. Natürlich waren Jack und Helen schon lange befreundet gewesen, ehe sie geheiratet hatten, also musste sie gewusst haben, dass der »schöne Jack« nicht das Leben eines Mönchs geführt hatte.
»Vielleicht wissen Sie das nicht«, sagte Lillian zu mir, »aber Winston Wrigley - ich meine den ersten - war mein Patenonkel. Er war fuchsteufelswild, als er erfuhr, dass ich mit Jack ausging. Einer von seinen eigenen Reportern! Später hat Mitch ihm dann klar gemacht, dass er, wenn die Zeitung auch nur noch einen negativen Beitrag über ihn druckte, der Welt ein paar Geschichten über mich erzählen würde.«
»Was für Geschichten?«
»Geschichten, die für
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