Totenruhe
sagte Helen. »Wann wirst du je begreifen, was Reporter tun und was nicht?«
»Ich kann Ihnen auch den Namen des Arztes nennen, der
mir das Blut abgenommen hat«, sagte Lillian, ohne Helen zu beachten. »Und Ihnen den Namen und die Adresse des Labors geben, das die Blutprobe hat - oder sie zumindest in ein paar Stunden haben wird. Max fliegt damit nach Seattle. Er hat ein Labor dort oben ausgewählt.«
»Gott sei Dank ist er wenigstens weg von hier«, sagte Helen.
»Am Montag kommt er wieder.«
»Mein Gott«, sagte Helen. »Was kann man nur tun?«
»Nichts«, erwiderte Lillian. »Würdest du bitte mal dein Hirn einschalten? Das Ausschlaggebende war, die Untersuchung in Angriff zu nehmen, ehe Mitch etwas dagegen unternehmen kann. Wenn ich gewartet hätte, hätte er Max womöglich noch mal gekidnappt, nur damit er nicht untersucht werden kann. Ich habe genauso gedacht wie du, bis mir Max erklärt hat, dass er bereit und willens ist, extreme Maßnahmen zu ergreifen. Exhumierungen gehen nicht so schnell wie Blutuntersuchungen, Nell. Wenn sich herumspräche, dass Kathleen exhumiert werden soll - ein Gedanke, den ich unerträglich finde -, hätte Mitch genug Zeit, um dafür zu sorgen, dass Max etwas Schreckliches zustößt.«
»Was glauben Sie, was ihn bis jetzt davon abgehalten hat?«, fragte ich.
»Meine allgemein bekannte Weigerung. Das Wissen, dass ich mich einer Untersuchung verweigere und dass ich gegen eine Exhumierung kämpfen würde, hat gereicht.«
»Du egoistische dumme Kuh«, schimpfte Helen.
»Aber Max hätte sich doch auch an die andere Seite der Familie um Hilfe wenden können«, wandte ich ein. »Wenn Warren Ducane …«
Lillian fiel mir ins Wort. »Mitch hat wahrscheinlich seine Zweifel daran, dass ein Mann, der sich über zwei Jahrzehnte lang versteckt gehalten hat, aus der Deckung kommt, nur um die Eltern von Max’ Verlobter glücklich zu machen.«
»Warum hält er sich überhaupt versteckt?«, fragte ich.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Lillian.
»Weil er«, sagte Helen, »weiß, dass niemand - absolut niemand - ein längeres Gedächtnis hat als Mitch Yeager, wenn es darum geht, sich für Beleidigungen oder Kränkungen zu rächen. Und wenn Mitch zwanzig Jahre braucht, um seine Rache zu bekommen, dann lässt er sich eben so lang Zeit dafür. Das weiß Lillian ganz genau.«
»Ja, und Warren wäre eine Zielscheibe für diese Rache«, ergänzte Lillian. »Er hat Mitch Max weggenommen und war der Auslöser dafür, dass gewisse Fragen über Mitch und seine Neffen laut geworden sind. Mitch hat hart dafür gearbeitet, dass alle vergessen, aus was für Verhältnissen er kommt.«
»Sie meint«, fügte Helen hinzu, »dass sein Vater ein Taugenichts war, der seine Familie im Stich gelassen hat, dass seine Mutter eine Säuferin war und sein Bruder ein Dieb und Schnapsschmuggler. Mitchs eigenes Geschäftsgebaren ist auch nicht immer über alle Zweifel erhaben gewesen.«
»Er hat versucht, sich zu ändern«, sagte Lillian, »aber es gab immer wieder Leute, die ihn verächtlich behandelt oder ihn an seine Vergangenheit erinnert haben. Vielleicht hatte er ja Recht. Wenn der Express ihn in Ruhe gelassen hätte, wäre er vielleicht einfach ein erfolgreicher Geschäftsmann unter vielen geworden.«
»Nicht zu fassen!«, schnaubte Helen wütend. »Eine Frau in deinem Alter kann doch nicht so hoffnungslos naiv sein! Nach dem zu urteilen, was du gerade gesagt hast, könnte ich schwören, dass du immer noch eine Schwäche für Mitch Yeager hast. Guter Gott, Lillian! Hast du denn vergessen, was er getan hat?«
»Nein«, gab Lillian gelassen zurück. »Wie kannst du das nur fragen?«
»Ich kann es fragen, wenn du rein aus einem Impuls heraus handelst und Dinge tust, die Max zwangsläufig schaden müssen. Du hast nicht etwa ein Problem gelöst, Lily - du hast lediglich
neue geschaffen, und das weißt du auch. Oder ist das etwa deine eigene …« Sie verkniff es sich mit offenkundiger Mühe, den Satz zu beenden. »Es interessiert dich tatsächlich nicht, was das für Max oder sonst jemanden für Konsequenzen hat, oder, Lily?«
»Er ist das Einzige, was mich an der ganzen Sache interessiert, Nell.«
»Helen«, fragte ich, »was verheimlichst du mir?«
Das brachte sie beide zum Schweigen.
»Ich weiß, dass ihr beide Max unheimlich gern habt«, sagte ich. »Und ihr wisst, dass ich auch nicht möchte, dass ihm jemals etwas Schlimmes zustößt. Ich würde allerdings gern begreifen, was hier wirklich vor
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