Totenruhe
war.
Neben einer langen Limousine blieb er stehen und stieg aus. Das hintere Fenster der Limousine fuhr nach unten. Nach kurzer Debatte kehrte Eric zurück und sagte zu Ian: »Er will, dass sie aussteigen.«
Wir wurden aus dem Jeep gezerrt.
Ian kam zu mir herüber und schlug mir, ohne ein Wort zu sagen, ins Gesicht. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel hart auf den Beton. Um mich verschwamm alles. Ian stand über mir und grinste auf mich herab. »Das ist erst der Anfang von dem, was ich dir schuldig bin«, zischte er und trat mir in die Rippen. Meine Füße waren noch frei, und so trat ich zurück, und zwar fest gegen seinen Knöchel.
»Verdammt noch mal!«, brüllte er und richtete die Pistole auf meinen Kopf.
Ethan schrie: »Nein, nicht … bitte …«
»Ian!«
Ian wandte sich zu dem Mann um, der seinen Namen gerufen hatte.
Mitch Yeager war alles andere als gebrechlich. Hoch gewachsen und aufrecht stand er da und musterte Ian durchdringend aus seinen großen, dunklen Augen. Sein Teint wirkte etwas durchscheinend, und sein Haar war schütter und strohig, aber entgegen meinen Hoffnungen wirkte er ganz und gar nicht wie jemand, der im nächsten Moment tot umfallen würde. In jungen Jahren hatte er gut ausgesehen, doch davon war kaum etwas übrig geblieben. Er hatte einen bitteren Zug um den Mund, der alle seine Gesichtszüge entsprechend in Mitleidenschaft zog.
Er war zwar groß, aber doch ein wenig kleiner als seine Neffen. Dass er nach wie vor das Kommando über Eric und Ian hatte, stand außer Zweifel. Ian senkte die Augen und wich vor mir zurück, außerstande, den Blick seines Onkels zu verkraften. Mitch sah zu Eric hinüber, der ebenfalls den Kopf senkte. Ich suchte nach einem Anzeichen der Aufsässigkeit, die Eric in der Vergangenheit an den Tag gelegt hatte, und fand nichts davon.
Mitch richtete seinen durchdringenden Blick auf Ethan, der seine Gefühle inzwischen nicht mehr so gekonnt verbarg, und ich wusste, dass der alte Mann jeden Moment die Angst und die Reue erkennen würde, die ich auf Ethans Miene ablas. Langsam kam ich wieder auf die Beine und versuchte, Ethan mit einem Blick zu vermitteln, dass mir nichts fehlte und er sich beruhigen solle.
Er begriff es und schlüpfte wieder in seine Top-Verarscher-Rolle.
Er grinste Mitch an. »Freut mich, dass Sie erkannt haben,
dass es nicht nötig ist, irgendjemanden zu verletzen. Das ist doch alles nichts als ein Missverständnis.«
»Ach ja?«, sagte Mitch Yeager.
»Natürlich. Ich kann nachvollziehen, dass Sie unsere Absichten missverstanden haben, aber wir brauchen nur ein bisschen Reisegeld, weiter nichts. Wir wollen beide so weit wie möglich aus Frank Harrimans Reichweite kommen, und das wird mit Sicherheit nicht billig. Wir werden die Staaten verlassen müssen, stimmt’s, Schatz?«
Ich lächelte matt. Mir tat der Mund weh.
»Ist sie nicht ein bisschen alt für Sie?«, fragte Mitch.
»Nein«, erwiderte Ethan schlicht. Es war mir eine Erleichterung, dass er es nicht weiter ausführte. Mir war es ohnehin schon peinlich genug.
Es schien zu funktionieren, denn nachdem Yeager uns beide abwechselnd gemustert hatte, sagte er: »Wir haben aber keine Zeit für Ihre Liebesgeschichte, Mr. Shire. Also: Sie haben etwas von mir.«
»Es liegt in einem Lagerabteil nicht weit von hier.«
Mitch sah Ian an. Ian holte aus und drosch auf Ethan ein.
Ethan verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Betonboden.
Ian trat nach ihm, bis Ethan vor Schmerz wimmerte. Er zog die Beine bis zur Brust an, um sich so vor weiteren Schlägen zu schützen.
»Aufhören!«, schrie ich. Meine Stimme hallte durch das Parkhaus, ein Geräusch, das in einer Betonschlucht verklang. Zur Strafe schlug mir jemand eine behandschuhte Hand über den Mund. Ich biss so fest hinein, dass ich das Leder durchdrang. Das hatte wiederum einen Schlag zur Folge, von dem mir schwindlig wurde.
»Hebt ihn auf«, befahl Mitch, ehe er sich mir zuwandte. »Sie halten die Klappe, sonst sorge ich dafür, dass er Ihnen den Mund zuklebt, verstanden?«
Ich nickte.
»Also«, sagte Mitch zu Ethan. »Wo ist es?«
Tränen traten ihm in die Augen, als er antwortete: »Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
Mitch nickte. Ian versetzte ihm erneut einen Hieb.
Wieder fiel Ethan zu Boden und blieb stöhnend liegen. Er blutete aus Mund und Nase.
»Schlag ihn noch mal«, verlangte Mitch.
»Nein, warten Sie«, sagte ich. »Warten Sie!« Eric fasste in die Tasche mit dem Isolierband.
»Es wäre überhaupt nicht
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