Totenruhe
nötig gewesen, es so weit kommen zu lassen«, erklärte Mitch. »Sie haben uns gezwungen, Dinge zu tun, die wir lieber nicht getan hätten. Aber nachdem Sie nun schon den ganzen Ärger verursacht haben, möchte ich Sie warnen, dass mich nichts daran hindert, Sie zu töten. Und es würde mir rein gar nichts ausmachen, Sie leiden zu sehen, ehe Sie sterben. Vielleicht bleiben mir dafür nur ein paar Minuten, aber ich kenne Methoden, durch die Ihnen Ihre letzten paar Minuten wie Stunden vorkommen werden. Haben Sie mich verstanden? Also, was wollten Sie sagen?«
Ich bemühte mich, ihn nicht merken zu lassen, welch große Angst ich hatte. Schließlich war er ein Experte für das Zufügen von Schmerzen. Ich musste daran denken, was er O’Connor und dessen Familie angetan hatte, indem er Maureen umgebracht und ihre Leiche verscharrt hatte, und bei diesem Gedanken hatte ich meine Antwort - und zwar so klar und deutlich, als hätte O’Connor direkt neben mir gestanden und mir das Stichwort gegeben.
»Auf dem Friedhof.«
»Was?«, sagte Mitch. »Was zum Teufel reden Sie da?«
»Auf dem städtischen Friedhof.«
Ethan riss die Augen auf. Er dachte eindeutig, ich sei verrückt geworden.
Yeager sah ihn an und fasste seine Reaktion offenbar falsch
auf. Er glaubte wohl, Ethan sei empört, weil ich ein Geheimnis verraten hatte. Nachdem er Ethan kurz gemustert hatte, fragte er: »Warum hättet ihr euch denn gerade diesen Ort aussuchen sollen?«
Ich versuchte es mit Telepathie, Gebeten und weiß Gott was, alles in der Hoffnung, dass Ethan den Sinn der Sache erkannte - der Friedhof lag nicht hier in der Nähe, also würde uns die Fahrt dorthin Zeit verschaffen. Offenes Gelände, Finsternis, Grabsteine und Statuen, hinter denen man sich verstecken konnte. All das bot bessere Überlebenschancen als der enge, ummauerte Bau mit den Lagerabteilen.
»Ich habe einen Artikel darüber geschrieben«, erklärte Ethan. »Ich bin oft dort.«
»Warum?«
»Er ist jetzt geschlossen, wegen der Ermittlungen, die angestellt wurden, nachdem mein Artikel erschienen ist. Aber wer weiß, was sie dort finden? Ich weiß, an welchen Gräbern sie noch arbeiten, und mit welchen sie schon fertig sind.«
»Sie führen Ermittlungen durch und lassen sie trotzdem einfach dort herumlaufen?«
Ethan lächelte zu ihm hinauf, ohne dass sein zerschlagenes Gesicht seine Fähigkeit beeinträchtigt hätte, großspurig dreinzublicken. »Sie würden ja gar nicht ermitteln, wenn ich sie nicht auf die Spur gebracht hätte, oder? Außerdem sind sie so an mich gewöhnt, dass sie glauben, ich würde für einen Fortsetzungsartikel recherchieren, und gar nicht besonders auf mich achten oder auf das, was ich tue.«
»Hebt ihn auf.«
Er stöhnte erneut, als ihn Ian am Arm hochzerrte. Inzwischen stand er nicht mehr allzu sicher auf den Beinen.
»Reden Sie weiter«, verlangte Mitch. »Und zwar ein bisschen plötzlich.«
»Es gibt eine ganze Menge leere Gräber. Dafür liegen in einigen anderen zu viele Leichen. In manchen Grüften sind
überhaupt keine Särge mehr - die sind ideal, um etwas zu lagern. In nächster Zeit wird auf dem städtischen Friedhof erst mal niemand beerdigt - die lassen sich ewig Zeit, und jetzt haben sie auch noch einen forensischen Anthropologen engagiert. Ben Sheridan. Er hat sich einen Teil eines Gebäudes dort reserviert, nur um die Knochen zu sortieren.«
Ich begriff, dass ein Teil dessen, was er da redete, wahr sein musste - zumindest war er offenbar erst kürzlich auf dem Friedhof gewesen, sonst hätte er nicht über Ben Bescheid gewusst.
»Wen juckt das schon«, sagte Mitch.
»Ich meine ja nur, dass ich einer der wenigen bin, die überhaupt auf den Friedhof dürfen.«
»Auch noch so spät in der Nacht?«
»Nein, aber ich weiß einen Weg hinein.«
»Kein Nachtwächter?«
»Das ist ja das Schöne daran. Die Typen, die die Gräber ausgeraubt und die Leichen herumgeschoben haben, waren von der Firma, die den Friedhof betrieben hat. Der Nachtwächter hat mit ihnen unter einer Decke gesteckt. Er ist hochkant rausgeflogen.«
»Und noch nicht ersetzt worden?«
»Nein. Es gibt Polizeipatrouillen. Zuerst sind sie oft vorbeigekommen, aber jetzt ist das alles schon über einen Monat her, und da haben sie die Häufigkeit reduziert. Die Bullen haben mich auch schon dort gesehen und glauben, ich mache mir Hoffnungen auf eine Fortsetzungsgeschichte, indem ich versuche, die nächtliche Stimmung dort einzufangen. Sie finden mich offen gestanden
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