Totenruhe
Tisch, Stühle und ein Sofa - Möbel, die allesamt aussahen, als stünden sie nicht bei ihrem
ersten Besitzer. Und auch nicht unbedingt bei ihrem zweiten oder dritten. Ich sah mich um. Es hätte genauso gut ein Hotelzimmer sein können - nirgends fand sich etwas Persönliches.
Er hatte meinen prüfenden Blick verfolgt, während er mit verschränkten Armen an der Tür lehnte. »Nein, es ist nichts Besonderes«, sagte er.
»Nicht mal ein richtiges Zuhause, was?«
»Das ist mir auch erst kürzlich aufgefallen«, erwiderte er und ging in Richtung Küche. »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?« Er schmunzelte über meine hochgezogene Augenbraue und fügte hinzu: »Kaffee, Wasser, Tee?«
»Kaffee wäre gut, aber bevor du welchen machst, ruf Mitch Yeager an, sag ihm, dass du bedauerst, ihn belästigt zu haben, und nicht bei ihm vorbeikommen wirst, sondern nur ein Mädchen beeindrucken wolltest, das dich dazu provoziert hat, dir ein Interview mit ihm zu erschleichen. Dass du Harmon gar nicht wirklich interviewt hast und ihm in keiner Weise Ärger machen willst. Das wird dein erster Anruf. Vielleicht musst du danach noch einen zweiten tätigen, nämlich bei der Mordkommission der Polizei von Las Piernas, um meinem Mann zu beichten, was du getan hast, damit er dir sagen kann, ob du gerade wichtige Ermittlungen komplett versaut hast oder nicht.«
»Ich wollte ja nur helfen. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich es nicht doch durchziehen soll.«
»Ethan, das ist ja alles sehr edel von dir, aber du kannst nicht mit Mitch Yeagers Blut an deinem Füller ins Polizeipräsidium spazieren - ja, Hailey hat mir davon erzählt - und ihnen sagen, dass sie damit alles haben, was sie brauchen, um ihn wegen Mordes zu verhaften. Zum einen ist das nicht deine Aufgabe, und zum zweiten bezweifle ich, ob das vor Gericht als legale Methode zum Sammeln von Beweisen akzeptiert würde. Und es ist alles andere als ethisch korrekt von dir, dass du versucht hast, Yeager zu einem Interview zu nötigen, indem du das Blaue vom Himmel heruntergelogen hast, oder?«
»Nein, aber … nein, ist es nicht.« Er hielt sich die Hände vors Gesicht und fuhr sich durch die Haare. »Ich habe mich eben von Hailey provozieren lassen. Sie hat - ach, vergiss es, ich will es nicht auf sie schieben.« Er klappte sein Handy auf, sah Yeagers Nummer nach und rief ihn dann von seinem Festnetzanschluss aus an. »Besetzt«, sagte er und legte auf.
»Wir probieren es in ein paar Minuten noch mal. Bis dahin - Ethan, ich mache mir solche Sorgen um dich.«
»Hast du Angst, dass ich wieder zu trinken anfange?«
»Nein - ich meine, vielleicht tust du’s, vielleicht auch nicht. Im Moment hoffe ich ernsthaft, dass du noch lange genug lebst, um deinen Alkoholismus zu bekämpfen. Du hast einen Mann verärgert, der den Mord an mehr als einem halben Dutzend Menschen arrangiert hat, weil er sich auf die grausamste Weise rächen wollte. Er hat jahrelang Pläne geschmiedet und gewartet, bis er Rache üben konnte, aber bei dem Alter, das er inzwischen erreicht hat, bezweifle ich, dass er sich erneut mit langfristigen Planungen aufhalten wird. Ich hoffe nur, er weiß nicht, dass andere Leute mitgehört haben, als du mit ihm telefoniert hast.«
Er saß schweigend da. »Wenn er mich um die Ecke bringt, tut er der Welt vielleicht sogar einen Gefallen«, sagte er schließlich.
»Ethan, wenn du deinen Kopf aus dem Hintern ziehst, siehst du vielleicht, dass du eine strahlende Zukunft vor dir hast.«
Er lachte. »Okay. Ende der Selbstmitleidszeremonie. Danke.«
»Gut. Jetzt versuch’s noch mal bei Yeager.«
Er wählte Yeagers Nummer. Diesmal nahm jemand ab. Ethan fragte erst nach Yeager, dann sagte er: »Oh … Also, würden Sie ihm bitte sagen, dass Ethan Shire heute Abend doch nicht mehr vorbeikommt? … Genau, ich habe vorhin angerufen … Nein, ich komme nicht vorbei … und bitte sagen
Sie ihm, dass - dass ich es sehr bedauere, ihn belästigt zu haben, dass ich alles erfunden habe und es nur eine dämliche Mutprobe war, um ein Mädchen zu beeindrucken, und dass es mir Leid tut. Er kann mich ja später anrufen, dann erkläre ich ihm alles und entschuldige mich für die Störung. Haben Sie das alles mitbekommen? … Ja, das ist alles … Danke. Und tut mir Leid, dass ich Sie vorhin so massiv bedrängt habe, ihn zu stören … Danke … Wiederhören.«
Er legte auf. »Er konnte nicht ans Telefon kommen. Meinst du, das reicht?«
»Ehrlich gesagt ist mir immer noch mulmig.«
Mein
Weitere Kostenlose Bücher