Totenruhe

ihr mein Beileid ausgesprochen.«
    »Was?«
    »Wegen Katy. Weißt du denn nicht Bescheid?«
    Sie wurde ganz blass, und auf einmal begriff er, wie tölpelhaft er sich verhalten und was für einen Fauxpas er damit begangen hatte, dass er es ihr nicht gleich im ersten Moment gesagt
hatte. Sie war den ganzen Tag hier gewesen, bei Jack, und wusste es nicht. Natürlich wusste sie es nicht. Und dabei hielt sie so große Stücke auf Katy.
    »Sag’s mir«, forderte sie ihn mit rauer Stimme auf. »Sag’s mir.«
    Er stand auf. »Sie haben die Jacht gefunden. Niemand an Bord. Die Küstenwache sucht noch …«
    »Katy …« Helens Augen füllten sich mit Tränen.
    Es war ein Schock für ihn. In mehr als zwanzig Jahren hatte er sie kein einziges Mal weinen sehen.
    »Oh, Swanie, es tut mir ja so Leid. Das hätte ich dir schonender beibringen müssen. Ich bin ja so ein Trampel. Ich weiß, wie gern du sie hast und dass du einen besseren Botschafter verdient hast als mich. Kannst du mir noch einmal verzeihen?«
    Die Tränen quollen über, und er legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie begann, heftiger zu weinen, und er drückte sie fester.
    Er erwog, ihr zu sagen, dass Katy seiner Meinung nach nie auf dieser Jacht gewesen war, doch sofort fielen ihm die Reaktionen der Küstenwache und Mr. Wrigleys ein. Wenn sie Recht hatten und er Unrecht, wäre es grausam, falsche Hoffnungen zu wecken.
    Außerdem war er sich ja gar nicht sicher, ob seine Ideen überhaupt zu Hoffnungen berechtigten. Wenn Katy und die anderen nicht an Bord der Jacht gegangen waren, waren sie dann lebend verschwunden? Oder ermordet worden?
    Er dachte an die langen Jahre, die Maureen vermisst worden war. Er würde warten. Und mit Dan Norton sprechen.
    Er reichte Helen sein Taschentuch und hörte sie murmeln: »Sie hätte diesen beschissenen Idioten, Todd den Kotzbrocken, schon längst verlassen sollen. Immer wieder habe ich ihr gesagt … ach, diese verfluchten Ducanes! Nur weil sie in eine Familie hirnloser Angeber eingeheiratet hat, ist sie jetzt tot.«

    Er war erleichtert. Wenn sie dermaßen fluchen konnte, ging es ihr schon besser.
    Sie richtete sich kerzengerade auf, dankte ihm und erklärte, sie müsse jetzt zurück zu Jack. »Sag’s ihm nicht, Conn. Noch nicht.«
    »Ich hab’s nicht vor. Entschuldige bitte, dass ich …«
    »Nein, bitte, ich bin ja froh, dass du derjenige warst, der es mir gesagt hat.« Sie wischte sich das Gesicht mit seinem Taschentuch trocken und sagte: »Und wenn du jemals einem dieser behaarten Affen in der Redaktion erzählst, dass du mich hast weinen sehen …«
    »Niemals.«
    »Danke.« Sie seufzte. »Wer weiß, wie lange ich überhaupt noch dort bleibe. Irgendwie habe ich die Sache immer mal wieder satt und müsste eigentlich was anderes machen.« Ihre Augen trübten sich erneut, doch sie atmete entschlossen durch und schüttelte den Kopf. »Wir werden ja sehen. Zunächst einmal möchte ich bei Jack sein.«
    »Ich will mich noch mal an der Stelle umsehen, wo man ihn gefunden hat, und anschließend mache ich mich auf die Suche nach dieser Farm. Ich weiß, du glaubst nicht an einen Erfolg, aber ich versuche es trotzdem. Ich kann nicht einfach nur rumsitzen.«
    »Nein, das konntest du wohl noch nie.«
     
    Dan Norton hatte ihm den ungefähren Weg zur Mayhope-Eierfarm beschrieben. Als O’Connor zu ihr hinausfuhr, stellte er verwundert fest, wie anders diese Welt war, obwohl sie vom städtischen Treiben in Las Piernas nicht weit entfernt lag. Milchfarmen, Pferdezuchten, Zitrusplantagen und kilometerlange Reihen von Feldfrüchten - sowie Straßen, die Meile für Meile von Eukalyptusbäumen gesäumt waren. Er ertappte sich dabei, dass er gern gewusst hätte, was eigentlich auf den Feldern wuchs, an denen er vorüberfuhr. In den Landkreisen
Las Piernas und Orange wurden solche Farmen langsam zu einer gefährdeten Art. Die Neubaugebiete wuchsen immer mehr zusammen. Was würden die Menschen in diesen Häusern essen, wenn all dieses fruchtbare Ackerland einmal asphaltiert war?
    Ezra Mayhope war froh, als er hörte, dass Jack das Bewusstsein wiedererlangt hatte. O’Connor fand in ihm einen freundlichen Mann, der nur allzu gern behilflich war. Er erfuhr, dass Mayhope verwitwet war und finanziell gerade so über die Runden kam. Mayhope zeigte ihm, wo ungefähr auf der Straße ihm das zu schnell fahrende Auto entgegengekommen war. Als O’Connor ihn nach der Marke fragte, erwiderte Ezra, er habe es leider nicht besonders deutlich gesehen,