Totenruhe
erwähnt.«
»Einen kleinen Jungen. Du weißt ja, dass meine Frau seit jeher ein Kind wollte, aber - na ja, ich will jetzt nicht in die Einzelheiten gehen, aber Estelle ist unfruchtbar.«
Es schockierte Lillian, dass er ihr so etwas anvertraute, und sie schämte sich für Estelle. Auf der Highschool war sie mit Estelle befreundet gewesen und hatte sie immer gemocht. Sie war hübsch, nett und großzügig, eines jener Mädchen, die beliebt waren, ohne berechnend zu sein - eine Kunst, die Lillian, wie sie selbst zugab, nicht beherrscht hatte. Aber seit Estelle Mitch geheiratet hatte, hatte Lillian Estelle häufiger bemitleidet als bewundert.
»Du stehst immer wieder in der Zeitung«, sagte Mitch und holte sie in die Gegenwart zurück, »weil du dich so für diese Mädchen und für Adoptionen einsetzt. Und da habe ich mir gesagt, gut, dann adoptieren wir eben ein Kind. Geben einem dieser armen Würmer eine Chance, ein besseres Leben. Und ich muss dir sagen, Lillian, Mitch junior hat mich jetzt schon total um den Finger gewickelt. Ich komme gar nicht dagegen an.«
»Das … ist ja wunderbar, Mitch. Es freut mich für Estelle.«
»Entschuldige, das ist jetzt nicht der richtige Moment, um mit dir über Kinder zu reden, was? Ich bin ein A-, äh, ich bin
ein Blödmann. Verzeih mir. Ich hätte ja Harold verlangt, aber dein Butler hat gesagt, er ist nicht da.«
»Nein, er ist noch nicht zurückgekommen. Er ist auf Geschäftsreise.«
»Aber er weiß natürlich Bescheid.«
»Ja. Wir haben ihn heute am frühen Nachmittag erreicht.«
»Wird es eine Trauerfeier oder irgendwas geben?«
Ihre Beherrschung hing an einem seidenen Faden. »Falls wir irgendetwas planen, Mitch, wird dich Harold sicher verständigen.«
»Ach, jetzt habe ich dich schon wieder verärgert. Tut mir Leid. Verzeihst du mir?«
»Nichts zu verzeihen. Bye, Mitch.«
Sie legte auf und setzte sich wieder auf das Sofa vor dem Feuer. Seltsamerweise hatte ihr Mitchs Anruf geholfen. Wütend zu werden half.
Mitch Yeager schien vergessen zu haben, wie gut sie ihn einmal gekannt hatte. Ja, ihn immer noch kannte, wenn auch nicht ganz auf dieselbe Weise. Ihn gut genug kannte, um zu bezweifeln, dass ihm irgendetwas, was er je gesagt oder getan hatte, Leid tat. Auch bezweifelte sie, dass sein Anruf als nette Geste gedacht war. Ob nun deshalb, weil Katy Mitch erst vor zwei Tagen beleidigt hatte, oder weil Lillian vor zwanzig Jahren abgelehnt hatte, ihn zu heiraten - sie war überzeugt davon, dass er sie hatte verletzen wollen. Mitch Yeager vergaß niemals eine Kränkung.
Sie nahm sich vor, Estelle bald einmal anzurufen. Mittlerweile hatte sie nur noch so wenig mit den Yeagers zu tun, dass es ihr widerstrebte, irgendetwas zur Erneuerung der Freundschaft beizutragen, die ihr durch Harolds geschäftliche Verbindung zu Mitch aufgezwungen worden war. Zum Teufel mit Harold. Wenn sie Mitchs Grausamkeit ignorierte, dann nur Estelle zuliebe.
Vielleicht würde es Estelle froher machen, wenn sie sich um
ein Kind kümmern konnte. Sie hatte in den letzten Jahren so verhuscht gewirkt. Lillian ertappte sich dabei, dass sie sich fragte, ob Mitch seine Frau schlug.
Mitch würde niemals zulassen, dass dem Kind, das er adoptiert hatte, etwas zustieß, das wusste Lillian. Er würde der Welt demonstrieren wollen, wie gut er für seine Familie sorgte. Garantiert würde er den Kleinen wie einen Prinzen aufwachsen lassen.
Sie schaffte es, ihr Selbstmitleid und ihren Kummer weit genug beiseite zu schieben, um diesen Jungen zu bedauern.
Am Dienstagnachmittag fuhr Warren Ducane die lange Zufahrt zu Auburn’s Stand hinauf, dem auf einem Hügel gelegenen Anwesen von Auburn Sheffield. Die anderen Sheffields hatten ein Vermögen in der Eiscremebranche gemacht. Auburn, der schon lange den Kontakt zum Rest der Familie abgebrochen hatte, hatte ein Vermögen mit Geld gemacht.
Das missfiel seinem verstorbenen Vater, einem herrischen Mann, der ihn zum nächsten Eiscremekönig auserkoren hatte. Auburn’s Stand war von den Einheimischen so getauft worden, als sie sahen, dass er seiner Familie gegenüber standhaft geblieben war. Auburn hörte davon, der Name gefiel ihm, und so übernahm er ihn für sein Zuhause.
Auburn verdiente an der Börse und mit anderen Investitionen mehr Geld als irgendwer sonst aus Warrens Bekanntenkreis. Gerüchten zufolge hatte er dies getan, um seinem Vater eins auszuwischen. Nachdem Warren Auburn kennen gelernt und ihn immer wieder von den Freuden des Investierens
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