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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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vermitteln wie das Meer, selbst wenn es ruhig ist. Aber wenn es tobt? Dann ist es noch zehn-, zwanzigmal schlimmer.«
    »Man würde tun, was man kann, um von irgendwoher Hilfe zu bekommen. War das Funkgerät auf eine Notruf-Frequenz eingestellt?«
    »Nein«, erwiderte Lorenzo und machte eine abschätzige Geste. »Das war auch nicht nötig. Es reicht, wenn man mal einen Film gesehen hat, in dem auch nur ein Spielzeugboot in der Badewanne vorkommt, dann weiß man, was man tun muss.«
    »Man drückt so lange auf Knöpfe, bis das Funkgerät aufleuchtet, und ruft dann ›Mayday‹ hinein.«
    »Genau. Und wenn man auf der Frequenz, auf der man ist, keine Stimmen hört, sucht man nach einer, auf der Stimmen zu
hören sind. Sie sind verzweifelt. Sie versuchen, irgendjemanden, egal wen, zu erwischen, der ihnen helfen kann.« Er schwieg einen Moment, ehe er hinzufügte: »Manchmal hört man sie schreien, aber sie können einem nicht sagen, wo sie sind. Nicht rechtzeitig.« Er seufzte.
    »Aber manchmal doch.«
    »Ja, ja. Und die Küstenwache gibt nie auf. Nie.«
    »Niemand hat einen Notruf von der Sea Dreamer aufgefangen.«
    »Nein - dabei hat die Küstenwache versucht, die Sea Dreamer zu erreichen, wegen der Sache mit dem Kind.«
    O’Connor lehnte sich zurück und dachte über all das nach, was Lorenzo gesagt hatte. War überhaupt irgendjemand auf dem Boot gewesen? Oder hatte man es nur losgemacht und treiben lassen?
    »Seltsam, was?«, sinnierte er laut. »Die Eltern und ein Großelternpaar des Kindes verschwinden in derselben Nacht, in der das Kind entführt wird.«
    »Sehr seltsam«, stimmte Lorenzo ihm zu.
    »Etwas, das ein Mensch arrangiert haben könnte, selbst wenn es keinen Sturm gegeben hätte.«
    »Offen gestanden glaube ich nicht, dass das Meer schuld ist. Das Meer ist hier nicht der Täter - und der Himmel auch nicht.«

15
    O’Connor sprach mit mehreren Mitarbeitern der Küstenwache, um deren Meinung über Lorenzos Theorien einzuholen. Außer einem erklärten alle auf die eine oder andere Art, dass Lorenzo ein großer Märchenerzähler sei. Der Einzige, der sich zurückhielt, war der Ermittlungsleiter. Er meinte: »Wenn Mr. Albettini schon so viele solcher Situationen gesehen hätte wie ich, hätte er vielleicht nicht diese Schlussfolgerungen gezogen.
Aber womöglich habe ich schon so viele gesehen, dass mir Dinge, die nicht gleich sind, mittlerweile gleich vorkommen - daher werde ich seine Bedenken auf jeden Fall berücksichtigen.«
    Die anderen wischten Lorenzos Fragen ohne viel Federlesens beiseite: Die Gruppe an Bord der Sea Dreamer hatte teure Abendgarderobe getragen und deshalb keine Schwimmwesten überziehen wollen. Sie hätten alle von einer einzigen Welle über Bord gespült worden sein können, ehe irgendjemand dazu kam, ans Funkgerät zu gehen. Der Schlüssel hätte dabei ebenfalls über Bord gegangen sein können oder, falls zwei oder drei Mitglieder der Gruppe über Bord gegangen waren, hätte jemand Unerfahrener, der beim Gedanken, sie untergehen zu lassen, in Panik geraten war, das Boot womöglich zu stoppen versucht, indem er den Motor abstellte und den Schlüssel abzog. Wenn diese Person auch über Bord gespült worden war, war der Schlüssel eben mit ihr versunken.
    O’Connor kehrte zu seinem Wagen zurück, machte sich ein paar Notizen und verfluchte seine Müdigkeit, weil er eine Frage zu stellen vergessen hatte. Also suchte er den Ermittlungsleiter noch einmal auf und fragte: »Wann ist der Sturm denn hier angekommen?«
    »Erst Sonntag früh gegen fünf.«
    »Wenn sie nur zu einem Vergnügungstörn rausgefahren sind …«
    »Dem Sturm gingen Nebel und schwerer Seegang voraus.«
    »Wann?«
    »Der Nebel? Der hat gegen ein Uhr aufzuziehen begonnen, und gegen zwei lag die Sichtweite zwischen hier und Santa Catalina Island schon unter hundert Metern.«
    O’Connor bedankte sich und kehrte zum Wagen zurück.
    Er war keiner von denen, die einfach taten, was man von ihnen verlangte, doch langsam setzte die Erschöpfung ein, und so befolgte er Wrigleys Anweisungen. Er schrieb den Artikel, drückte ihn einem Redaktionsgehilfen in die Hand und marschierte
in das Deli nebenan, das Big Sarah’s Diner abgelöst hatte, nachdem Sarah in den Ruhestand gegangen war. Er holte sich zwei Schinkensandwiches und fuhr nach Hause, ohne noch einmal in die Redaktion zurückzukehren, da er nicht auf den zwangsläufig erfolgenden Ärger warten wollte. Er besaß ein Telefon. Sie konnten ihn anrufen.
    Beim Gedanken daran

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