Totenruhe
gern.«
»Ich weiß«, murmelte ich und erwiderte ihren Blick. »Aber du streitest mit ihm.«
»Natürlich streite ich mit ihm. Er braucht jemanden, mit dem er streiten kann. Er ist ein Kelly.«
»Zurzeit braucht er es nicht.«
»Irene. Willst du etwa behaupten, dass du in den ganzen Wochen, seit du daheim bist, kein einziges Mal mit ihm gestritten hast?«
Das saß.
Lächelnd fuhr sie fort: »Dachte ich’s mir doch. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich ihm nicht zu nahe trete, Irene. Das weißt du.«
»Ja. Danke, Mary. Wenn Dad einverstanden ist, bin ich dir natürlich dankbar. Es wäre mir - eine große Erleichterung.«
»Die Zimtzicke lässt sich natürlich nicht hier blicken, was?«
»Eines Tages rutscht dir das noch heraus, wenn du Barbara direkt gegenüberstehst.« Ein Funkeln in Marys Augen ließ mich hastig hinzufügen: »Das sollte aber keine Herausforderung sein.«
Mary lachte. »Jetzt geh schon arbeiten, ich schmeiße den Laden hier.«
Wie so oft freute ich mich zu früh darüber, endlich aus dem Schlimmsten heraus zu sein. Das dicke Ende sollte erst noch kommen.
Da ich wusste, dass Mary meinen Vater nicht allein lassen würde, machte ich mich mit größerem Enthusiasmus als zuvor über den nächsten Auftrag her, der mir zugeteilt worden war - es ging um eine Erhöhung der Hundesteuer, also ein nicht gerade glamouröses Thema. Wenigstens konnte ich mich diesmal auf meine Arbeit konzentrieren, statt mir immer nur darüber den Kopf zu zerbrechen, ob mein Vater in guten Händen war.
Ich fing ein paar brauchbare Aussagen von Hundebesitzern ein, fuhr in die Redaktion zurück, ignorierte alle anderen Anwesenden und schrieb drauflos. Ich hatte eine Geschichte. Ich wusste, wie ich sie erzählen würde. Alles andere war egal. Ein gutes Gefühl.
Die Redaktion war fast leer, als ich fertig wurde. Die meisten Männer waren auf die andere Straßenseite gegangen, zur traditionellen Happy Hour im Press Club. Ich lieferte meinen Artikel bei H. G. ab, dem Lokalchef.
Erst danach merkte ich, dass ich dringend auf die Toilette musste. Niemals würde ich es rechtzeitig zum Damenklo schaffen. Ich sah mich um. Niemand beachtete mich. Ich schlich mich aufs Männerklo. Zum Glück war keiner drinnen.
Ich ging in eine Kabine und schloss die Tür. Kaum hatte ich die wichtigste Minute hinter mich gebracht, da hörte ich die Außentür aufgehen und zwei Männer miteinander reden. Voller Scham zog ich die Füße hoch, um nicht entdeckt zu werden.
Ich erkannte die beiden an ihren Stimmen - es waren O’Connor und Mark Baker. Meine ersten Ängste legten sich, als keiner von ihnen an meiner Kabine die Türklinke drückte. Erst da nahm ich wahr, worüber sie sprachen. »Warum hast du sie denn dermaßen auf dem Kieker?«, fragte Mark Baker.
»Weil sie als Reporterin nicht viel taugt.«
»Mann, das ist hart.«
»Ich werde Helen mal fragen, ob sie sie wirklich unterrichtet hat.«
»Du glaubst, sie hat bei ihrer Bewerbung gelogen?«
Nach kurzer Pause erwiderte O’Connor: »Nein, das bezweifle ich. Aber du kannst mir nicht weismachen, dass Helen besonders viel Einfluss auf jemanden gehabt hat, der eine so unausgegorene Story einreicht wie die, die sie gestern abgeliefert hat. Und das war ja nicht das erste Mal. Sie gibt sich überhaupt keine Mühe, tut nur das Nötigste. Und das Schlimmste ist, dass sie jedem Mann, der findet, in der Nachrichtenredaktion hätten nur Männer etwas zu suchen, genau die Munition in die Hand gibt, die er für seine Einwände braucht. Sie ist ein jämmerlicher Abklatsch einer Reporterin und macht es dadurch jeder anderen Frau, die diesen Job will, nur noch schwerer.«
»Ich finde, du bist zu streng mit ihr.« Mark lachte ein wenig beklommen. »Komm schon, Mann, du musst zumindest ihren Mut bewundern. Sie hat sich praktisch von jedem Kerl in der Redaktion schon einen dummen Spruch anhören müssen.«
»Und entsprechend zurückgeschossen«, sagte O’Connor, als sie schon wieder auf dem Weg zur Tür waren. »Ein Mundwerk
hat die! Wer weiß? Vielleicht hat Wrigley sie ja gebeten, ihm kleine Schweinereien ins Ohr zu flüstern …«
Die Tür fiel zu, und ich hörte nicht mehr, was für Beschwerden und Unterstellungen er sonst noch gegen mich auf Lager hatte.
Ich wartete, bis ich nicht mehr zitterte, oder wenigstens nicht mehr so stark. Dann trat ich ans Waschbecken und wusch mir Hände und Gesicht. Mittlerweile war mir egal, ob Wrigley höchstpersönlich mich dort erwischte.
Jeder
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