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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Schreibkräfte und Buchhaltungspersonal weiblich waren) und eine dritte auf der Etage, wo ich arbeitete. Ja, zwar auf derselben Etage, aber nur durch ein Labyrinth von Fluren zu erreichen und am anderen Ende des weitläufigen Großraumbüros, in dem das Feuilleton residierte. Es war, als hätte der Architekt des Gebäudes dafür sorgen wollen, dass ein Tampon niemals auch nur in die Nähe der Nachrichtenredaktion gelangte.
    Also musste ich Zeit für den Marsch einkalkulieren, wenn der Ruf der Natur mich ereilte, und ich durfte jedes Mal feststellen, dass ich unter den Frauen aus der Feuilletonabteilung eine ebensolche Außenseiterin war wie unter den Männern der Nachrichtenredaktion. Wann immer ich in ihr Territorium
einbrach, entstand im ganzen Raum eine auffällige Pause im Geklapper der IBM-Selectric-Schreibmaschinen. Je schneller sich eine Feuilletonredakteurin wieder ans Tippen machte, desto wahrscheinlicher schien mir, dass ich mit ihr auskommen würde, sobald sich der Neuigkeitswert meiner Position abgenutzt hatte. Lydia war natürlich auch da, aber in der ersten Zeit achteten wir bewusst darauf, bei der Zeitung keine Privatgespräche zu führen, damit man uns nicht vorwarf, unprofessionell zu sein oder auf Kosten unseres Arbeitgebers zu plaudern. Bis Arbeitsschluss wechselten wir nur selten mehr als ein paar Grußworte miteinander. Später erfuhr ich, dass einige dieser Frauen - von denen die meisten bereits seit mehreren Jahren bei der Zeitung arbeiteten - schon öfter versucht hatten, ins Nachrichtenressort zu wechseln, man sie jedoch abgewimmelt hatte. Ein weiterer Grund für meine »Beliebtheit«.
    Sicher hätte ich mir manches erleichtern können, indem ich nach der Arbeit mit den Kollegen einen trinken oder mit den »Mädels« essen gegangen wäre. Doch sobald mein Arbeitstag beendet war, musste ich schleunigst nach Hause zu meinem Vater.
    Fast hätte ich den Job gar nicht angenommen. Halb hoffte ich, Mr. Wrigley werde mir erklären, dass er nach wie vor keine Stelle in der Nachrichtenredaktion für eine Frau frei habe, damit ich zu meinem Dad nach Hause gehen und sagen konnte: »Ich habe mein Bestes versucht, aber es hat nicht geklappt, also bleibe ich jetzt daheim und kümmere mich um dich.« Allerdings weiß ich nicht, ob vierundzwanzig Stunden am Tag mit seiner aufsässigen Tochter meinem Vater den rechten Seelenfrieden verschafft hätten, und mein einziger Grund, nach Las Piernas zurückzukommen und einen Job zurückzulassen, der mir gefiel, und einen Mann, den ich gern näher kennen gelernt hätte, bestand darin, meinem Vater das Leben zu erleichtern und noch so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen.
Es sah ganz danach aus, als wäre ihm nicht mehr allzu viel Lebenszeit vergönnt.
     
    Meine Probleme mit O’Connor begannen an einem Donnerstag, dem Tag, bevor ich zu dem Schluss kam, dass er ein Arschloch war. Davor war er mir lediglich unnahbar und mit grimmiger Miene begegnet, aber so war er ja bei jedem.
    An diesem Donnerstag hatte ich von H. G., dem Lokalchef, zwei Stunden frei bekommen, um meinen Vater zum Arzt zu fahren - eine Nachuntersuchung nach seiner ersten großen Krebsoperation. Ein Teil seines Magens fehlte nun, und er war schwach und dünn, doch wir waren erleichtert: Wäre der Krebs schlimmer gewesen, hätten sie den ganzen Magen herausnehmen müssen. Er konnte nicht viel essen, ihm war oft schlecht, und er schlief den größten Teil des Tages.
    Doch er lebte. Erholte sich. Das sagte ich mir immer dann, wenn sich die hartnäckige Angst um ihn wieder in meine Gedanken drängte. Ich sagte es mir häufig.
    Ich hatte selbst noch einen beruflichen Termin an diesem Tag, und zwar sollte ich über eine Konferenz der lokalen Schulbehörde berichten. Es gibt nicht viele Themen, die weiter unten rangieren als Konferenzen der lokalen Schulbehörde.
    Obwohl sich der Arztbesuch länger hinzog als geplant, schaffte ich es, meinen Vater wieder zu Hause abzuliefern, ehe ich zu der Konferenz aufbrechen musste. Dummerweise meldete sich die Frau krank, die wir als Hilfe für ihn eingestellt hatten, wenn ich arbeiten musste. Es war nicht das erste Mal, und ich überlegte schon, ob ich ihr gleich sagen sollte, sie brauche gar nicht wiederzukommen. Die Vorstellung, die ganze Prozedur aus Bewerbungsgesprächen und Honorarverhandlungen noch einmal über mich ergehen zu lassen, widerstrebte mir jedoch dermaßen, dass ich fürs Erste alle Pläne aufschob, einen Ersatz für sie zu finden.
    Ich rief

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