Totenschleuse
Wirtschaftsblatt zu holen. Oder er würde gleich zurückkommen, weil er etwas Wichtiges im Zimmer vergessen hatte. Oder er wollte einen Mord begehen.
Das Doppelbett war gemacht. Jette mochte keine zerwühlten Betten.
Eine Fernsehzeitschrift lag am Boden. Papiertaschentücher auf dem Nachttisch.
Eine Wirtschaftszeitung von gestern, die Börsenkurse aufgeschlagen, unleserliche Notizen am Rand. Er fotografierte sie mit dem Makromodus seines Handys. Neben dem Zahnputzglas standen eine Tube Haargel und ein halb volles Glas Bier.
Im Schrank zwei Jacketts, ein Hemd, eine Hose. In der Jacketttasche fand er eine Quittung des Szene-Restaurants Semmelbach in Keitum, zweimal Menü, ein Riesling, mit Datum von vorgestern. Unten im Schrank stand eine Lederreisetasche, gefüllt mit Herrenslips und Jogginganzug, alles in Rot, Gelb und Himmelblau. Malbek schüttelte sich.
Er sah vorsichtig aus dem Fenster zum Parkplatz. Und noch ein Rundgang durch das Zimmer, unter das Bett geguckt, um sich zu vergewissern, ob er auch nichts vergessen hatte.
Als er einen Moment innehielt, um nachzudenken, spürte er Druck auf den Ohren und hörte einen leise an- und abschwellenden hohen Ton, den er nicht lokalisieren konnte. Es musste die Klimaanlage sein. Als er die Rändelscheibe der Klimaanlagensteuerung im Flur eine Stufe herunterschaltete, wurde der Ton leiser und verschwand. Als er wieder höher schaltete, waren der Ton und der Druck im Ohr wieder da. Er ging ins Bad und hielt ein Ohr in die Kloschüssel. Hier war es am lautesten, und er sah konzentrische Schwingungskreise auf der Wasseroberfläche. Er spülte und wartete, bis das Wasserrauschen vorbei war. Stille. Dann setzte der Ton wieder ein.
Die Abluftöffnung musste zumindest teilweise verstopft sein. Deshalb konnte der Überdruck, den die Klimaanlage erzeugte, nicht ausreichend entweichen und führte zu Schwingungen des Wassers in der Toilette, was wiederum den hohen Ton erzeugte. Die Zuluftöffnung befand sich an der Decke im Zimmer. Um eine vollständige Klimatisierung von Zimmer und Bad zu erreichen, musste die Abluftöffnung im Bad in Bodennähe sein. Unter dem Waschbecken fand Malbek eine kunststofffurnierte Holzabdeckung, die nur mit einer Metallklammer befestigt war. Mit einem energischen Ruck hatte er das Brett entfernt.
Die Abluftöffnung war ein schlichtes Rohrloch, das aus der Wand ragte. Die Öffnung war fast vollständig mit Kunststofftütchen vollgestopft. Er zog ein Briefchen vorsichtig heraus und ließ das weiße Pulver hin und her rieseln. Kokain in der Abluftöffnung der Klimaanlage. Bei diesem Versteck hätte auch ein Drogenhund Probleme gehabt. Jedenfalls solange die Klimaanlage lief. Er drückte das Säckchen wieder neben die anderen, machte mit dem Handy ein Foto vom Versteck und verließ Lüllmanns Zimmer so, wie er es vorgefunden hatte.
Als Malbek wieder in seinem Zimmer war, ließ er sich erschöpft auf das Bett fallen und schloss die Augen.
Natürlich konnte er innerhalb einer halben Stunde Lüllmanns Zimmer versiegeln lassen und die Spurensicherung anfordern. Man würde nach Lüllmanns Offroader fahnden und ihn spätestens bei seiner Rückkehr im Hotel festnehmen. Dann würde man seine Lieferanten und Kunden allerdings nie finden. Und Jette wäre in Schwierigkeiten. Was ihn ziemlich kaltließ. Sie nannte sich selbst eine investigative Journalistin, die gern aufs Ganze ging.
Er sendete Lüthje das Foto als MMS und rief ihn an, als er die Empfangsbestätigung als SMS bekam. Lüthje war noch mit dem Spurensicherungstrupp im Hause Bönig. Malbek erzählte, wie er das Depot gefunden hatte. Sie waren einer Meinung. Lüllmann musste ab sofort rund um die Uhr observiert werden.
»Vergiss nicht, diesen typisch Malbek’schen Hotelzimmertrick in deinem Bericht später als wirkliches Versehen darzustellen«, sagte Lüthje. »Sonst hast du wieder Ärger mit Schackhaven. Und wenn wir mal Zeit haben, erklärst du mir das noch mal in Ruhe. Das hab ich auf die Schnelle eben nicht so mitbekommen. Und tschüss!«
Danach rief Malbek in Kiel an und setzte Vehrs auf Robert Lüllmanns berufliches und privates Umfeld an.
Von Jettes Duft hatte er Lüthje nichts erzählt. Das würde der doch nur für Spökenkiekerei halten.
Der Schmerz in seiner Nase pochte leise. Ihm fiel ein, dass Jette ihn am Abend vor der gemeinsamen Fahrt nach Sylt auf die Nasenspitze geküsst hatte.
17.
Auf der Rückfahrt nach Kiel hatte Malbek kurz entschlossen die B76 verlassen und war der
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