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Totenschleuse

Totenschleuse

Titel: Totenschleuse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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Turm der Nicolaikirche als tapferer Dachreiter Richtung Westen, der überwiegenden Windrichtung, den Stürmen entgegen.
    Den Spaziergängern in der Nähe des Wohnmobils war der Duft des Dorsches mit Senfsauce in die Nase gekrochen. Sie vertieften sich in ein Gespräch, ob man nicht in das Gartenrestaurant Seeblick an der Ecke Vogelsang einkehren sollte.
    Ja, er hatte es vergessen. Oder verdrängt. Dort hatte er mit Jette an einem lauen Sommerabend draußen Dorsch gegessen, und sie hatten sich anschließend auf dem gegenüberliegenden Parkplatz im Auto intensiv geküsst. Nach fünf Minuten waren sie zu ihr gefahren. Das war eine Ewigkeit her.
    Außerdem fiel ihm ein, dass die zweieinhalb Dorsche in seinem Pantrykühlschrank, der nur bis sieben Grad herunterkühlte, üblicherweise noch am selben Abend in Jettes Tiefkühlschrank gelandet wären. Er besaß einen Hausschlüssel zu ihrer Kate, falls sie, wie so oft, noch in der Redaktion arbeiten musste.
    Sie hatte seit gestern Abend dreimal auf seinem Diensthandy und viermal auf dem Privathandy angerufen. Keine SMS wie sonst. Sie wollte ihn also »persönlich« sprechen. Er hatte nur Sophies Anruf angenommen und ihr versprochen, dass er bis übermorgen wüsste, wann sie nach England fahren könnten.
    Er konnte den Gedanken, mit Jette sprechen zu müssen, nicht ertragen. Würde Lüllmann bei der Vernehmung durch Lüthje Jette erwähnen? Würde jemand auf die Idee kommen, dass einige der Fingerabdrücke in Lüllmanns Zimmer von Jette stammten? Würde ein Drogenhund in ihrer Kate fündig werden?
    Egal. Für den fangfrischen Fisch würde ihm eine andere Tiefkühllösung einfallen.
     
    Malbek kam eine halbe Stunde zu spät. Der Organist hatte schon mit seiner Demonstration begonnen und unterbrach sie mit genervtem Lächeln. Niemand fragte nach Malbeks zerkratzter Nase. Alle Vorstandsmitglieder des Orgelvereins sahen es und nahmen es kommentarlos zur Kenntnis. Wahrscheinlich hielt man es für Kampfspuren, die bewiesen, welchen Preis der Kommissar im Kampf um Recht und Ordnung zahlen musste. Stimmte ja auch.
    »Gefällt mir sehr gut«, sagte Malbek wichtig, als ihm die fertige Werbebroschüre präsentiert wurde, die für den Erwerb von Orgelpfeifenpatenschaften der Marcussen-Orgel warb. Er nickte dem Organisten zu. Der Organist spielte einige nebeneinander angeordnete Register an, deren Orgelpfeifen, einzeln angespielt, klar ihren Ton wiedergaben. Danach spielte er sie in verschiedenen Harmonien zusammen. Es klang falsch. Der Organist meinte, dass die Pfeifen zu eng beieinanderstanden, möglicherweise durch altersbedingte Schrumpfung. Dadurch versetzten sie sich gegenseitig in Schwingungen, die man als Verstimmung empfinde. Nach all den Reparaturen müsse nun auch dies kostenaufwendig restauriert werden. Die Mitglieder des Vereinsvorstandes legten ihre Gesichter in kummervolle Falten.
    »Die Orgelpfeifen benehmen sich wie Menschen, die nicht zusammenpassen«, sagte Malbek und sah hinunter ins Kirchenschiff. »Der Chor kommt, Sie entschuldigen mich.«
    Der Vorsitzende des Orgelvereins erinnerte Malbek hastig mit vorgehaltener Hand an den Gedenkgottesdienst zu Ehren des Dompastors Malbek, als sei es ihm peinlich, einen Pastorensohn daran erinnern zu müssen. Malbek dankte ihm, wie schon in den vergangenen Jahren. Er hatte es bisher jedes Mal vergessen, besser gesagt verdrängt. Einen Beruf, der als Entschuldigung dafür herhalten konnte, hatte er ja. Man hatte wohl gemerkt, dass er mit den Gedanken woanders war, und entließ ihn, sich verständnissinnig und betont freundlich zunickend. Danach stiegen alle die enge Wendeltreppe hinab ins Kirchenschiff.
    Die Kirchenbänke waren immerhin fast zu einem Drittel gefüllt, Menschen aller Altersgruppen, Familien mit Kindern, Schulklassen waren auch dabei.
    Der Göteborgs Ungdomskör hatte sich auf der Nordseite des Mittelschiffs, direkt vor den Sitzbänken, in zwei Halbkreisen aufgestellt. Sie ließen die Blicke im Kirchenschiff schweifen, als versuchten sie, die schlichte Pracht des Kirchenschiffes in sich aufzunehmen, um ihrem Gesang Kraft und Glanz zu verleihen.
    Die Chorleiterin hob beide Arme, öffnete den Mund zu einem unhörbaren Laut, und auf eine kaum wahrnehmbare Bewegung ihrer rechten Hand begann der Chor.
    Auf der Programmankündigung hatte Malbek schon vor Wochen gelesen, dass sie zuerst den Choral »Immortal Bach« singen würden. Nur deshalb war er gekommen.
    Sein Vater hatte die Komposition verehrt. Seine Mutter fand sie

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