Totenschleuse
damit er Ruhe gibt. Ja, als er unterschrieben hatte, haben wir uns auf dem Flur getroffen. Ich hatte gerade im Besprechungszimmer der technischen Abteilung die Getränke bereitgestellt. Wir wollten zum Fahrstuhl, da öffnete sich das Chefzimmer, und Molsen verabschiedete einen Besucher. Den Mann hatte ich schon einmal gesehen. An der Rezeption redeten sie von ihm als ›Bankberater‹. Obwohl er das gar nicht war, die kannte ich nämlich alle. Von einem Fonds war die Rede, also irgendeine Mauschelei.«
Sie hielt inne.
»Ja, der kam also aus dem Zimmer …«, fuhr sie zögernd fort, »… und sah uns an. Vor allen Dingen mich. Markus verkrampfte sich. Und da sah der Mann ihn an. Spöttisch. Abfällig. Dann war der Mann auch schon an uns vorbei und im Fahrstuhl. Das war alles.«
»Und Sie wissen nicht mehr, wie der Mann hieß?«
»Nein.«
»Würden Sie ihn wiedererkennen?«
»Vielleicht.«
»Ich werde eine Mitarbeiterin mit Fotos von zwei Männern schicken. Sagen Sie ihr, ob der Mann vom Flur dabei ist. Wie sind Ihre Arbeitszeiten?«
»Täglich zwölf Uhr mittags bis Mitternacht und später. Und einer von beiden ist der Mörder?« Madamchen stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und sah die Straße hinunter. Malbek hätte sie gern angehoben, aber er traute sich nicht.
»Möglich.«
»Sie kommt!« Madamchen zog die Zigarette aus der Spitze und drückte sie am Boden aus. »Der grüne BMW. Ich muss rein und ihm Bescheid sagen. Hier.« Sie drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand und lief zur Hintertür.
»Haben Sie sich mit Markus nicht darüber unterhalten? Ich meine, über den komischen Typen auf der Chefetage?«, rief er ihr nach.
Sie wandte sich um, die Klinke schon in der Hand.
»Nein, warum hätten wir das machen sollen? Es war doch unwichtig«, rief sie ihm zu. »Ich hätte Ihnen das gar nicht erzählen sollen. Es ist nur … weil ich nach einer Erklärung suche, die ganze Zeit.«
»Wollen Sie nicht in den Polizeidienst gehen?«
»Wenn Sie eine gediegene Kantine haben, vielleicht!« Sie winkte ihm noch zu und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Gediegen konnte man die Polizeikantine nicht nennen. Aber was meinte sie eigentlich mit »gediegen«?
19.
Malbek hatte Hunger, und er unterbrach seine Fahrt und bog in Eckernförde zum Hafen ab. Er hatte Glück. Rechts neben der Holzbrücke zur ehemaligen Siegfriedwerft standen Leute am Kai, die frischen Fisch vom Kutter kauften. Scholle war aus, hieß es, aber Dorsch, ja, er habe endlich Dorsch wieder dabei, sagte der Fischer. Die EU-Quote sei endlich aufgehoben, der Dorsch habe sich wieder erholt.
Malbek kaufte drei große Dorsche. Der Fischer schlitzte den Fischen mit einem großen Messer den Bauch der Länge nach auf, griff die Eingeweide mit seinen Gummihandschuhen aus der Öffnung und warf sie in einen blutigen Eimer. Möwen umkreisten abwartend die Anlegestelle. Sie ließen den Menschen den Vortritt.
»Für Sie zehn Euro«, verkündete der Fischer und reichte Malbek in einer Plastiktüte die Fische auf dem Kai.
Malbek fuhr auf die gegenüberliegende Seite der Förde, parkte am Jungmannufer und öffnete Tür und Fenster. Er briet einen halben Dorsch sehr heiß in der Pfanne an, stellte den Fisch anschließend warm. Je einen Teelöffel roten Traubenessig und Apfelessig fügte er dazu und rührte den Sud zu einer milden Senfsauce. Malbek wusste, dass er kein Salz brauchte. Nur ein fangfrischer Fisch trug den Geschmack des Meersalzes noch in sich, nach einem Tag im Kühlschrank war er verflogen. Danach kochte er die Sauce auf die Hälfte ein. Noch eine Handvoll feste Bio-Kartoffeln in etwas Wasser mit frisch gemahlenem Pfeffer gekocht, auch ohne Salz. Fertig.
Es war der Himmel.
Und hier, am Jungmannufer in Eckernförde, hatte man den schönsten Blick über die Innenförde zum Strand, auf dem die ersten Strandkörbe ins Winterquartier geholt wurden.
Dieses Jahr legte der Herbst plötzlich eine spätsommerliche Episode ein. Die Sonne stand schon tief, brannte aber noch auf der Haut. Ein Ausflugsschiff verließ den Hafen, über dem Heck einen Pulk kreischender Möwen hinter sich herziehend. Ein Fischerboot kehrte spät heim und hinterließ auf dem Weg in den Hafen eine glitzernde Wellenspur. Eine Seemeile nordöstlich sah Malbek an den Molen des Marinestützpunkts U-Boote, Fregatten, Tender und Versorgungsschiffe aus grauem Stahl, denen auch die Sonne keine Wärme entlocken konnte. Über den Dächern der Fördestadt stemmte sich der kleine
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