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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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dass Hilde Gottschalk schnell noch ihre Haare richtete, bevor sie saubere Tassen und frischen Kaffee auf einem Tablett zum Tisch in der Herbstsonne trug.
    »Herrlich! Köstlich! Dieser Duft!«, hörte Pieplow den Professor rufen und hatte den Verdacht, dass nicht nur der Kaffee gemeint sein könnte. Sieh an, dachte er, sieh an.

5
    Seltsam, dass etwas so lange her sein kann und doch so klar in der Erinnerung ist, als sei es erst vor kurzem geschehen.
    Ich sehe Clara vor mir, wie sie am Bollwerk auf den Nachmittagsdampfer wartet, genauer gesagt, auf die Waren, die er bringt. Zeitungen, Filme und all die Tinkturen, die Otto Jeschke in seiner Dunkelkammer brauchte. Ich sehe ihr seesandblondes Haar, das im Laufe des Sommers den gelblichen Ton verlor und fast silbrig schimmerte wie sonnengebleichtes Treibholz. Sie trug es nicht mehr mädchenhaft zu beiden Seiten geflochten, sondern in einem dicken Zopf, der genau dort endete, wo sich die weißen Schürzenträger zwischen ihren Schultern kreuzten.
    Sie war eher groß für ihr Alter, auf jeden Fall größer als Lissi oder ich, und wer genau hinsah, konnte erkennen, dass sie sich zu einer klaren, ich möchte fast sagen, nordischen Schönheit entwickelte. Schlank, aber nicht zart. Das war keine von uns. Wie denn auch, mussten wir doch im Haus und beim Vieh zupacken, sobald wir laufen und einen Hütestock halten konnten.
    Clara hatte es leichter als Lissi und ich, denn für die schwere Arbeit waren die Brüder zuständig, dafür sorgte die Mutter mit ihrem Wunsch, Clara sollte es besser haben. Besser jedenfalls als sie selbst, die sich als Fischersfrau plagen und ihrem Mann jeden Schritt abringen musste in das, was sie die neue Zeit nannte.
    »Du bist einfach nur stur, Walter! Uns geht ein schöner Batzen Geld durch die Lappen, nur weil du deine Grundsätze hast. Keine Fremden im Haus! Das ist lächerlich und dumm obendrein. Sieh dich doch um! Freese, Witt, Gau und all die anderen haben längst begriffen, welchen Nutzen sie von den Sommergästen haben.«
    »Ich bin nicht neidisch drauf. Dafür hab ich meine Ruhe. Keine albernen Gartenstühle auf meinem Hof, kein Weibergekreisch und nicht immer ›Ja, gnädige Frau‹, ›Selbstverständlich, Herr Regierungsrat‹ und all das andere Gewäsch.«
    Marga Timpe war klug genug zu verschweigen, dass es gerade der Gedanke an einen Herrn Regierungsrat und die gnädige Frau unter ihrem Dach war, der ihr so gut gefiel.
    »Dann hör nicht hin, wenn’s dich stört. Sonst kümmert dich doch auch nicht, was gesprochen wird. Im Sommer bist du zum Fischen oder im Hafen. Noch nie hast du im Juli oder August einen Fuß in die Stube gesetzt. Du brauchst sie nicht, ich auch nicht, warum also nicht gutes Geld damit verdienen?« Marga Timpe warf sich in die Brust, als sie diesen Trumpf ausspielte, denn gegen das Geldverdienen konnte doch nicht einmal ein querköpfiger Hiddenseer Fischer etwas einzuwenden haben.
    Aber als sei alles gesagt und wieder mal viel zu viel geredet worden, brummte Walter Timpe nur »Schluss damit«, stand auf und setzte sich zum Netzflicken vors Haus.
    Clara und ihre Brüder hatten den Atem angehalten. Keinen Mucks hatten sie von sich gegeben, nur verstohlene Blicke zwischen den Eltern hin und her gehen lassen. Dass der Vater nicht klein beigab, erleichterte sie, auch wenn sie die Stube nur so selten betreten durften, dass sie sich dort immer ein wenig wie zu Besuch fühlten.
    Claras Konfirmation war die letzte Gelegenheit gewesen, bei der Marga Timpe ihre kalte Pracht vorgeführt hatte. Das Büfett mit den gedrechselten Säulen im Aufbau, den großen Tisch, das hochbeinige weinrote Sofa und die gepolsterten Stühle, deren Bezüge das ganze Jahr von dunklen Gardinen vor Licht geschützt werden mussten. Auch wenn in dem niedrigen Raum alles ziemlich gequetscht wirkte, verfehlte es nicht seine Wirkung. So wohnte, wer mehr erwartete als ein Leben, das sich um Seefahrt und Fischfang drehte, um Hornfisch und Hering.
    Noch heute glaube ich den Tonfall zu hören, wenn Marga Timpe in unserer Küche saß und Mutter Geschichten erzählte, die mit »Bei uns zu Hause auf dem Gut« begannen und dann von Empfängen und Diners mit lauter Freifrauen und Rittmeistern handelten. Es klang sicher nicht aus Versehen so, als sei sie selbst eines der gnädigen Fräuleins gewesen. Und nicht nur die Tochter des Stallmeisters, die in der Küche half, bis sich ein Ehemann fand. Ihre Geschichten ließ Marga Timpe dann gern mit einem Seufzen ausklingen

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