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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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Jahrzehnten gutes Geld gekostet haben mussten.
    Es dauerte eine Weile, bis Pieplow merkte, dass nicht nur das Ausgeblichene, Abgenutzte der Behaglichkeit des Raums etwas Schäbiges gab. Helle Rechtecke an den Wänden zeigten, dass Bilder fehlten. Lücken zwischen den Büchern im niedrigen Regal unter den Nordfenstern. Hauptsächlich Taschenbuchausgaben, die Rücken brüchig, das Papier vergilbt. Ein paar »Kompass«-Bände, ein zerfledderter Bildband »Entlang der Ostseeküste«. Daneben Kriminalromane, die Einbände schwarz und pink und neongelb. Sjöwall/Wahlöö. »Bückware«, heiß begehrt und praktisch nicht zu bekommen. Daran erinnerte sich Pieplow genau und auch an den forschenden Blick der Bibliothekarin, wenn er immer mal wieder danach gefragt hatte. Kein Zweifel, hier hatte jemand so gute Beziehungen gehabt, dass er schon vor dreißig Jahren an schwedische Kriminalromane herangekommen war.
    Pieplow nahm ein Buch nach dem anderen in die Hand. Keines war unbeschädigt, alle rochen gleich. Nach stockigem schlechtem Papier und ungelüfteten Räumen.
    Ein Geräusch riss ihn aus seinen Überlegungen, ob sich »Der Mann, der sich in Luft auflöste« oder doch eher »Der lachende Polizist« als Lektüre für seine Nachtwache eignete. Ein tastendes Knirschen. Vorsichtige Schritte in den Schuttresten auf dem Flur.
    »Was zum Teufel …« Er stieß die Tür auf, und in dem Lichtstreifen, der hinaus in den Vorraum fiel, stand Rieke Voss. Sie hatte ein zeltgroßes wollenes Tuch um die Schultern geschlungen, das in allen Regenbogenfarben wogte und sich beulte, bis sie schließlich drei Flaschen Rotwein darunter hervorstreckte.
    »Ich dachte, ich leiste Ihnen ein bisschen Gesellschaft. Könnte doch sein, dass Ihnen langweilig ist.« Sie lächelte ihn verschwörerisch an, steuerte zielstrebig auf die Vitrine zu und stellte Gläser auf den Tisch.
    Pieplow schloss mit einem stummen Seufzer die Tür. Weder gruselte es ihn noch langweilte er sich, und es stand ihm keineswegs der Sinn nach einem Rotweingelage.
    »Für mich nicht«, wehrte er ab. »Ich bin im Dienst.«
    »Ach, kommen Sie, ein Glas zur Geselligkeit, dagegen wird ja wohl niemand was haben. Und wenn jemand kommt, sagen wir einfach, ich hätte Sie genötigt.«
    Nach dem zweiten Glas bedauerte Pieplow, Andreas Bratkartoffeln mit Hering ausgeschlagen zu haben. Sie wären eine bessere Grundlage als die Wurststulle, die er auf dem Weg hierher hastig heruntergeschlungen hatte.
    Rieke Voss redete, Pieplow hörte zu.
    Vergeblich versuchte sie, ihm etwas über sein Privatleben zu entlocken. Dass er, genauso wie sie, allein lebte, erfuhr sie noch, aber ihren Fragen nach dem Warum oder ob er daran etwas zu ändern gedenke, wich er aus und lenkte das Gespräch auf die Schlesingers.
    Der Großvater war in den dreißiger Jahren zu Geld gekommen, viel Geld, das er unter anderem in das Hiddenseer Haus steckte.
    »Automobile aller Art, Spedition, solche Sachen. Die Firma gibt es heute noch. Vielleicht sind Sie schon mal dran vorbeigefahren? Ein großes Autohaus, direkt hinter der B 105? Japanische Autos, glaube ich, aber davon versteh ich nichts. Ich hab ja nicht mal einen Führerschein. Warten Sie mal …« Sie stand auf und kramte aus dem unteren Teil der Vitrine ein Album hervor. Braunschwarz marmorierte Lederdeckel, dazwischen, geschützt von spinnwebgemasertem Transparentpapier, Fotos auf schwarzem Karton.
    Rieke Voss blätterte vor und zurück, bis sie fand, wonach sie suchte. Das Bild eines Mannes im Zweireiher. Krawatte, Hut, Handschuhe in der linken Hand, die er selbstbewusst auf die Hüfte stemmt. Die rechte ruht auf dem Fensterholm eines Autos, bei dem Pieplow an amerikanische Gangsterfilme denken musste.
    »Das ist mein Großvater, und das hier …« Sie klappte mehrere schwarze Seiten auf einmal um, »das ist die ganze Familie«. »Unser Dornbusch 1937« stand unter der Fotografie, auf der ein Dutzend Menschen Richtung Kamera blickte. Darunter, mit weißem Stift auf schwarzem Grund, in drei Reihen Namen wie bei einer Mannschaftsaufstellung. »Meine Großeltern, meine Mutter«, ihre Zeigefingerkuppe tippte auf ein Mädchen im Backfischalter, zog dann weiter zu den Gesichtern zweier junger Männer, dem Vater so ähnlich wie Abziehbilder. Der eine hatte den Betrieb übernommen, der andere sein Leben lang bei Mercedes gearbeitet.
    »Was ist mit dem?« Pieplow wies auf ein rundes, weiches Gesicht, das mehr nach der Mutter kam. Statt Anzug und Krawatte trug der dritte Sohn

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