Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
nicht gerechnet. Er begrüßte sie höflich reserviert, doch als sie ihm in die Augen sah, errötete er verlegen.
Karen Raabe musste sich sehr bemühen, über diese offensichtliche Schüchternheit nicht zu lächeln. Aber sie empfand die Art, wie dieser Schwiete ihr begegnete, als sehr angenehm. Bei früheren Begegnungen mit der Polizei hatte sie meist andere Typen erlebt. Laut, machohaft und oft genug unhöflich und entwürdigend.
Jetzt, wo sie Sozialarbeiterin war, hatte sich der Umgangston, den man ihr gegenüber anschlug, natürlich geändert. Aber früher, als sie selbst noch Prostituierte gewesen war, hatten die Polizisten oft jede Höflichkeit vermissen lassen, sondern sie wie Dreck behandelt.
Eine solche Art des Umgangs schien dieser Schwiete nicht zu pflegen. Umständlich bot er ihr einen Stuhl und etwas zu trinken an. Nachdem sich beide mit Tee und Kaffee versorgt hatten und ein Stück Kuchen vor sich auf einem Teller liegen hatten, kam Schwiete zum Wesentlichen.
»Inzwischen haben wir Irina Koslow überprüft. Sie ist am Montag in den Urlaub nach Mallorca geflogen. Der Rückflug war für zwei Wochen später vorgesehen. Doch schon am Dienstag hat sie versucht umzubuchen, das haben wir von der Fluggesellschaft erfahren. Als man Frau Koslow mitteilte, dass das bei ihrem Low-Budget-Tarif nicht möglich sei, hat sie für Mittwoch einen anderen Rückflug gebucht und ist wohl tatsächlich in Paderborn gelandet. In ihrer Wohnung haben wir sie allerdings nicht angetroffen. Ihr Arbeitgeber behauptet, er sei über die Urlaubspläne von Frau Koslow nicht im Detail unterrichtet. Können Sie uns vielleicht einen Hinweis geben, wo wir Frau Koslow finden können?«
Frau Raabe schwieg lange. Sie überlegte, ob sie Schwiete gegenüber ihr Wissen über diese Frau preisgeben konnte oder ob sie damit das Vertrauen gefährdete, das sie sich bei den Prostituierten über lange Zeit erworben hatte. Nach einigem Ringen entschied sie sich, dem Polizisten punktuell Auskunft zu geben.
»Bei unserer Unterredung neulich habe ich doch angedeutet, dass im Milieu ein honoriger Paderborner Bürger eine unschöne Rolle spielt. Es ist nur ein Gerücht, auf das ich aber immer wieder stoße. Offenbar handelt es sich bei dem Mann um den Immobilienkönig Paderborns, Werner Hatzfeld. Und genau dieser Werner Hatzfeld soll angeblich eine Affäre mit Irina Koslow haben. Vielleicht sollte ich besser sagen, dieser Werner Hatzfeld ist der Besitzer von Irina Koslow. Wie gesagt, es ist ein Gerücht, und ich rate Ihnen, Herr Hauptkommissar, wenn Sie keine handfesten Beweise gegen diesen Kerl haben, seien Sie vorsichtig! Der Mann hat die besten Kontakte. Wenn Sie eine beweisbare Anschuldigung gegen ihn finden sollten, werden Sie erhebliche Probleme bekommen, ihr weiter nachgehen zu können, wenn bestimmte Kreise, zum Beispiel die Staatsanwaltschaft, davon Wind bekommen. Eine falsche oder nicht beweisbare Anschuldigung gegen diesen Mann – und Sie werden nur noch Knöllchen verteilen, Herr Schwiete. Wenn überhaupt! Ich habe da meine Erfahrungen.«
»Was wissen Sie sonst noch über Herrn Hatzfeld?«
Karen Raabe lachte böse. »Wissen! Ich weiß nichts. Alles, was ich zu bieten habe, sind Gerüchte. Dass Hatzfeld das Gebäude besitzt, in dem der Club Oase untergebracht ist, ist kein Geheimnis. Aber sonst?« Karen Raabe zuckte mit den Schultern.
»Ich jedenfalls wusste das noch nicht«, gestand Schwiete. »Wieder ein Mosaiksteinchen, das ich noch einordnen muss.«
»Wie gesagt, Herr Schwiete, ansonsten kann ich Ihnen nur Gerüchte bieten. Gerüchte von so widerlichem Inhalt, dass ich sie nur preisgebe, wenn Sie darauf bestehen. Wenn die allerdings auch nur ansatzweise stimmen, dann ist dieser Hatzfeld ein Menschenhändler, Schwerverbrecher und ein Schwein, ein elendiges Drecksschwein!« Karen Raabe hatte sich richtig in Rage geredet.
»Danke, Frau Raabe, Sie haben mir sehr geholfen. Ich muss die Informationen erst einmal selbst verdauen und dann in das Gesamtbild einordnen.«
Nachdem sie noch einige Höflichkeiten ausgetauscht hatten, stand Karen Raabe auf und verabschiedete sich.
»Frau Raabe?«
Die Sozialarbeiterin wandte sich fragend zu Schwiete um. Er war wieder rot geworden. Und zwar in einem Maße, wie sie es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
»Wissen Sie, Frau Raabe … Ich meine … Ach, nichts, Frau Raabe.«
Doch die Sozialarbeiterin ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Sie kam zurück zum Tisch und setzte sich
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