Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Papierfabrik hatte seinen Körper in Schuss gehalten. In zwei Jahren plante er, in Rente zu gehen. Karin, Wallners Großmutter, war mit Mitte sechzig immer noch attraktiv, auch wenn ihr fast fünfzig Arbeitsjahre die eine oder andere Falte ins Gesicht gedrückt hatten.
»Ja Bub, was machst denn du so früh da herunten?«, fragte Karin, die an der Arbeitsplatte stand und mit der Zubereitung von Butterbroten für Manfred beschäftigt war. »Da setz dich her. Magst a Ei?«
»Nein danke, ich hab noch keinen Hunger. Einen Kaffee vielleicht.«
Wallner setzte sich zu Manfred an den Tisch und sah ihm beim Verzehr einer Scheibe Graubrot mit Wurstauflage zu. Frische Semmeln gab es um die Uhrzeit noch keine. Karin stellte eine Tasse heißen Kaffee vor Wallner. Der schüttete Milch hinein und beobachtete, wie sie sich mit der braunen Flüssigkeit vermischte. »Ich will ja nicht meckern. Aber kann das sein, dass der Kaffee in der Zeit, in der ich weg war, noch dünner geworden ist?«
»Tja«, sagte Karin und wandte sich wieder den Butterbroten zu.
Manfred machte mit einem Mal einen missgelaunten Eindruck und nahm sogar körperlich, wie Wallner fand, eine Verteidigungshaltung ein. »Der Kaffee is seit zwanzig Jahren der gleiche. Vielleicht machen s’ in München so an Herzkaschperl-Kaffee. Hier bei uns is er eben … bekömmlicher.«
»Jaja«, sagte Karin, stellte einen Teller vor Wallner und ging zur Brotschneidemaschine. Manfred biss mit hochgezogenen Schultern in sein Wurstbrot.
»Hab ich was Falsches gesagt?« Wallner rührte in seinem dünnen Kaffee. »Ich wollte niemanden kritisieren.«
Es folgte Schweigen. Manfred kaute, Karin schnitt Brot.
Und weil das Schweigen auf bedrückende Weise zunahm, sagte Wallner schließlich: »Ist irgendwas?«
»Wieso? Was soll sein?«, fragte Manfred mit vollen Backen.
»Irgendwas ist. Das merk ich doch.«
»Ach! Merkst des?«
»Sag’s ihm halt«, meldete sich Karin mit einer gewissen Schärfe in der Stimme von der Brotschneidemaschine.
»Was soll ich denn sagen?«
»Das weißt du ganz genau.«
»Ah geh, Schmarrn! Tut mir leid, aber des is mir echt zu blöd.«
Wallner verfolgte die Auseinandersetzung mit Interesse. Seine Großeltern hatten sich auch früher öfter Reibereien geliefert. Erosionserscheinungen nach einigen Jahrzehnten des Zusammenlebens. Um der Farce ein Ende zu machen, wandte sich Wallner an Karin. »Jetzt sag schon, was los ist.«
»Er holt den Kaffee aus dem Filter. Wahrscheinlich schon seit dreißig Jahren.«
»Er tut was?!«
»Jetzt mach dich halt net gar aso zum Deppen.« Manfred gestikulierte ausladend mit seinem angebissenen Wurstbrot.
»Was heißt: Er holt den Kaffee aus dem Filter?«
»Jeden Morgen setz ich’s Wasser auf, dann tu ich den Filter mit dem Kaffeepulver auf die Kanne, und dann geh ich ins Bad. Und er gießt den Kaffee auf, wenn’s Wasser kocht. Und ich sag immer: Der Kaffee schmeckt so dünn. Aber dein Opa sagt: Ein Löffel Kaffee pro Tasse. Mehr wär Verschwendung. Und heut hab ich ihn erwischt …«
Wallner sah seinen Großvater an. Der schüttelte den Kopf. »Mir is was ins Kaffeepulver gefallen. Deswegen hab ich da mit dem Löffel …«
»Geh, Schmarrn! Ich hab’s doch genau gesehen. Du hast zwei Löffel Kaffee wieder raus aus’m Filter und in die Kaffeedose zurück. Und ich wunder mich seit dreißig Jahren, dass bei uns der Kaffee so fad is.«
»Auf einmal tät er fad schmecken. Der Kaffee war immer recht. Grad gern hast ihn getrunken. Jeden Morgen drei Tassen. Jetzt erzähl doch net, dass er net schmeckt.«
»Da musst ja drei Tassen trinken, dass es überhaupts was wirkt, des dünne Supperl.«
»Wieso tust du den Kaffee aus dem Filter raus?« Wallner hatte schon mitbekommen, dass alte Leute manchmal etwas wunderliche Angewohnheiten annahmen. Aber das erstaunte ihn dann doch.
»Hat sie dich jetzt aufgehetzt, ja? Bist jetzt auch gegen mich?«
»Nein, ich versuche nur, es zu verstehen.«
»Ich mach des, weil … weil des gesünder is. Wennst ständig starken Kaffee trinkst, kriegst irgendwann an Herzinfarkt. Das weiß doch jeder.«
»Wennst gesund leben willst, dann hör’s Saufen auf«, maulte Karin, während sie hektisch und aggressiv die Butter aufs Brot strich. »Das ist der reine Geiz. Das ist das Gleiche wie mit dene abgebrannten Streichhölzern.«
»Man muss a Streichholz doch net wegschmeißen, wenn’s erst halb abgebrannt ist. Des kannst doch noch mal hernehmen.«
»Okay«, sagte Wallner. »Die
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