Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
mit Wallner und Kreuthner abends ins »Kistler« zu gehen, von dem Kreuthner sagte, da müsse man hin, wenn man im Tal Leute treffen wolle und es gerade keine Berghütte zum Austrinken gebe.
Das Kistler war eine seltsame Einrichtung. Man musste außerhalb von Rottach ein Stück den Berg hinauffahren oder, wenn es verschneit war, zu Fuß hinaufgehen. Zu ebener Erde war es ein braves Gasthaus mit gutbürgerlicher Küche, bekannt für Rouladen und Schnitzel, die man mit der Gabel zerdrücken konnte.
Ging man jedoch an der Eingangstür vorbei um das Haus herum und einige Stufen den Hang hinunter mit Blick auf die Lichter von Rottach-Egern, dann war da noch eine Tür.
Die war in Schwarz gehalten, mit einem Guckloch ohne besondere Funktion. Vor der Tür hörte man leise Musik. Hinter der Tür erwartete einen Dunkelheit bei um die hundertzehn Dezibel. Wände und Böden waren durchgehend in Schwarz gehalten. Im Vorraum hingen Automaten mit den gängigen Videospielen. Hier gab es Stehtische, und man konnte sich, anders als im Hauptraum mit der kleinen Tanzfläche, einigermaßen verständigen.
Claudia verströmte einen verschwenderischen Duft von Maiglöckchen, Patschuli, Pfirsich, Sandelholz und Zimt, auch ein Hauch von Moschus, Vanille und Weihrauch schwebte im Raum. Sie trug einen grauen, engen Rollkragenpullover aus Merinowolle, dessen Züchtigkeit durch kurze Ärmel gemildert wurde und der ihren Busen auf das Attraktivste zur Geltung brachte. Mit den Zehn-Zentimeter-Highheels, die sie trotz des nasskalten Wetters angezogen hatte, war sie nicht viel kleiner als Wallner, der am Stehtisch zu ihrer Linken stand, und einige Zentimeter größer als Kreuthner zu ihrer Rechten. Kreuthner trank Bier, Claudia Rotwein und Wallner Mineralwasser.
»Ich war heut bei Foidl und hab ihn gefragt, wie er die Sache mit Beck einschätzt«, sagte Claudia.
»Und?«
»Keine Chance. Wir müssen ihm mehr anbieten als nur so ein Gefühl, dass Beck etwas weiß.«
»Wir haben ihn ja nicht mal ans Telefon gekriegt. Womöglich hat der sich abgesetzt«, sagte Wallner.
»Würd mich zwar wundern. Weil der war noch nie weiter weg wie bis Bozen. Aber wo er schon mal weg is, könnt man sich doch in aller Ruhe umschauen in seinem Archiv.«
Wallner sah Kreuthner verständnislos an. »Du hast doch gehört, dass wir keinen Durchsuchungsbeschluss kriegen.«
Kreuthner sah Claudia mit gespielter Verzweiflung an. Claudia wiederum klimperte Wallner mit ihren schwarzen Wimpern an. »Ich glaube, der Leo meint was anderes.«
»Ach so! War ich wieder begriffsstutzig.« Er wandte sich an Claudia. »Du hast offenbar sofort verstanden, dass hier von Einbruch die Rede ist. Was ich ein wenig vermisse, ist der empörte Ausdruck in deinem Gesicht.«
»Den hab ich im Auto gelassen.« Sie blickte Wallner für seinen Geschmack eine Spur zu amüsiert an. »Aber wir sollten morgen wirklich zu Beck fahren. Nur so zum Schauen. Vielleicht hat er die Tür aufgelassen.«
»Ja. Wahrscheinlich sogar. Der baut zwanzig Kameras und fünfzehn Schlösser ein, um dann die Tür offen zu lassen, der zerstreute Schlamper.«
Claudia zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen: Alles schon passiert.
»Ich fasse es nicht! Es ist strafbar, selbst wenn die Tür sperrangelweit offen steht. Du bist ein Organ der Rechtspflege. Du solltest so was verhindern.«
»Weißt du, was ich an dir besonders attraktiv finde?«, sagte sie und lächelte Wallner mit ihrem roten Mund an. »Du bist so ein Aufrechter. Ein Mann mit Prinzipien.«
»Schön, dass mein Beispiel wenigstens zu deiner Erheiterung beiträgt, wenn es dich schon nicht zum Umdenken veranlasst.«
»Vielleicht kannst du mich ja noch überzeugen.« Sie nahm seine Hand. »Gehen wir tanzen?«
Kreuthner sah den beiden wehmütig nach. Es ging bereits auf Mitternacht zu, und jemand legte Wind of Change auf.
Claudia schlang ihre Arme um Wallners Hals und zog ihn an sich. Er spürte ihre Wärme, ihre Haare und ihr Gesicht an seinem Hals, roch die süße Schwere, die sie verströmte, und erwiderte den Druck ihrer Hände. Am Ende des Liedes küssten sie sich lange. Dann sagte sie: »Ich muss zurück nach München.«
Kreuthner blieb noch. Er hatte die Hundsgeiger Michaela entdeckt, auf die er schon in der Schule scharf gewesen war, und wollte sein Glück versuchen.
An Claudias Wagen sahen sie und Wallner sich eine Weile in die Augen. Dann wich Claudia Wallners Blick aus.
»Was willst du?«, fragte er.
»Wenn ich das immer wüsste.«
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