Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Claudia nestelte an Wallners Daunenjacke herum und wischte ein paar Schneeflocken weg, die sich dort angesammelt hatten. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich mag dich. Das Leben wird irgendwie entscheiden, wie es weitergeht.«
»Ich hab’s lieber, wenn ich selber entscheide«, sagte Wallner.
Claudia gab ihm einen Abschiedskuss und wischte den Lippenstift von seiner Wange. »Ich weiß.«
Wallner stand noch eine Weile allein auf dem Parkplatz. Schneeflocken sanken aus dem schwarzen Himmel herab.
26
W allner hatte sich unter der Daunenjacke einen Schal um den Hals gelegt. Morgens fror er am meisten. Claudia sah ungewohnt blass aus. Die Kälte hatte das Blut aus ihrem Gesicht getrieben. Der geschminkte Mund wirkte um so schneewittchenhafter.
»Keiner da«, stellte Kreuthner fest, nachdem er mehrfach auf die Klingel gedrückt hatte. Sie standen zu dritt vor dem metallenen Schiebetor, das den Hof des Beckschen Anwesens vom öffentlichen Grund trennte. Kreuthner wirkte mit dieser Feststellung sehr zufrieden, ging zu seinem Golf GTI Baujahr 1981 und kam mit einer Leiter und einem Rucksack wieder.
»Ihr wollt da nicht wirklich einbrechen?« Wallner machte sich langsam ernsthafte Sorgen.
»Jetzt mach dich mal locker, du Hasenfuß.« Claudia streichelte Wallners Wange und gab Kreuthner ein Zeichen, dass er anfangen solle. »Da ist Gefahr im Verzug. Ich hab im Haus Lärm gehört. Da muss was passiert sein. Weil ja keiner aufmacht.«
»Die Nachbarn sagen, Beck ist in Urlaub.«
»Ah ja? Hat Beck zu irgendwem tatsächlich gesagt, dass er in Urlaub fährt?«
»Nein. Die Nachbarn haben es auch nur von irgendwoher.«
»Mir kommt das verdächtig vor«, sagte Claudia. »Gefahr im Verzug. Oder, Leo?«
»Ich hab da auch was gehört im Haus.« Kreuthner lehnte die Leiter an die Mauer und begann, daran hochzusteigen. »Da stimmt was net. Des is eindeutig. Am End mach ma uns noch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Dann schaun mir aber blöd aus der Wäsche.«
Wallner sah ein, dass die Diskussion aussichtslos war. »Pass wenigstens auf. Auf der Mauer sind Glasscherben.«
»Aaau! Kruzitürken!« Kreuthner hatte sich auf die Mauer gekniet. Dabei hatten sich die Glasscherben in seine Knie gebohrt. »Aaaah!« Kreuthner hatte sich reflexartig mit den Händen abgestützt. »Scheiße!« Kreuthner hatte das Gleichgewicht verloren und war im Begriff, von der Mauer zu fallen. Wallner und Claudia fingen ihn auf und wurden dabei zu Boden gerissen.
»Bist ja ein echter Einbrecherkönig.« Wallner klopfte seine Daunenjacke ab. »Ich sag doch, da sind Glasscherben.«
Zehn Minuten später waren Kreuthners Wunden provisorisch versorgt, denn Wallner hatte vorschriftsmäßig einen neuen Verbandskasten im Auto. Beim zweiten Versuch war Kreuthner gewitzter und überwand die Mauer unbeschadet.
Es ertönte kein Alarm, und Claudia folgte Kreuthner. Wallner überlegte kurz und kam dann auch auf die andere Seite, nachdem er von oben die Leiter heruntergereicht hatte.
Aus seinem Rucksack förderte Kreuthner einen Satz Dietriche zutage. »Gibt’s die im freien Handel?«, wollte Wallner wissen.
»Keine Ahnung. Die hab ich aus der Asservatenkammer.«
Wallner blickte gen Himmel, während Kreuthner an dem Sicherheitsschloss hantierte.
»Wie schaut’s aus?«, fragte Wallner nach einer Weile. Der Gedanke, dass ein Nachbar die Polizei verständigen könnte, machte ihn nervös.
»Der hat die neuesten Schlösser eingebaut, der Dreckhammel, der elendige.« In diesem Moment brach Kreuthners Dietrich ab. Er besah mit verkniffener Miene das kurze Stückchen Stahl, das er in der bandagierten Hand hielt.
»Und jetzt?«
»Dietrich hat sich erledigt. Der Rest vom Dietrich steckt im Schloss.«
»Das sehe ich. Die Frage ging eher dahin, ob du einen Plan B hast oder ob wir zurück über die Mauer steigen.«
Kreuthner lachte. »Plan B? C? D? Alles dabei. Gibst mir mal den Rucksack?«
»Was brauchst du denn?« Wallner hatte den Rucksack vom Boden aufgehoben.
»Da is a Batterie drin und a kleine Rolle mit Elektrodraht. Und a Plastikbeutel mit so einer Knetmasse.«
Wallner holte alles aus dem Rucksack und gab es Kreuthner. Bei dem Plastikbeutel zögerte er. Darin befand sich etwa ein Kilogramm einer schmutzig-weißen Substanz, deren Konsistenz an Plastilin erinnerte. »Was ist das?«
»Wir müssen a bissl sprengen. Geht net anders.«
»Ist das C4?«
»Schaut so aus, ha?« Kreuthner keckerte lustvoll.
»Bist du völlig bescheuert? Du willst die
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