Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
sechs gewesen, wie der Krieg vorbei war.«
»Na und? Aber ich erinner mich, dass mal wer was erzählt hat von einer Frieda im Dorf.«
»Mit anderen Worten: Du hast keine Ahnung. Und jetzt halt dich raus. Des is mein G’schäft.«
Wallner war nicht ganz sicher, was Otto mit Geschäft meinte, bekam aber bald Klarheit.
»Is es recht wichtig für euch, dass ihr wisst’s, wer des war?«, zischelte Otto und sah mit verkniffenen Augen durch den Qualm seiner Zigarette.
Kreuthner verschränkte die Arme. Die Frage war ersichtlich rhetorisch.
Otto senkte die Stimme und streckte den Kopf verschwörerisch nach vorn. »Irgendeine schwache Erinnerung tät da vielleicht hochkommen bei mir. Helft’s mir a bissl.«
»Wie können wir dir denn helfen?« Auch Kreuthner sprach jetzt leiser.
»Wie’s der Zufall will, hat mich heut irgendwer von deinen Kollegen geblitzt.«
»Schlimm?«
»Ich hab net auf’n Tacho g’schaut. Aber ich fürchte, des san wieder drei Punkte. Und dann is der Lappen weg.«
»Was fahrst auch immer so schnell in deinem Alter!«
»Mei …«
»Ich kann da keinen Zusammenhang mit Ihrem Erinnerungsvermögen sehen«, sagte Wallner und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.
»Dann erklär ich’s dir.« Otto fasste die Zigarette so, dass die Glut nach innen zur Handfläche zeigte und der Rauch zwischen seinen Fingern hervortrat. »Es is die Sorge um meinen Führerschein, verstehst? Des blockiert mich, da kann ich an nix anders denken.«
Wallner sah zu Kreuthner. »Sind die alle so in deiner Familie?«
»Ja. Natürlich«, sagte Kreuthner in einem Ton, als habe Wallner eine sehr einfältige Frage gestellt.
»Okay. Aber du wirst ihm nichts versprechen, was du nicht auf legalem Weg halten kannst!«
»Ich kümmer mich um die G’schicht«, sagte Kreuthner zu seinem Großvater. »Und jetzt rück raus – was ist mit dieser Frieda Jonas, und was hat die mit dem Haltmayer zu tun?«
Otto Kreuthner machte die Zigarette aus, fuhr mit der Hand nachdenklich über seinen Mund und sammelte sich.
»Das wird neununddreißig gewesen sein. Der Sommer, in dem der Krieg angefangen hat. Der Haltmayer war mal der reichste Bauer in Dürnbach. Der hat über fünfzig Stück Vieh gehabt. Das was unglaublich viel damals. Wie ich fünf Jahre alt war, da hat mein Vater, dein Uropa, immer den Hut gezogen, wenn der Haltmayer vorbeigegangen ist. Aber wie ich zehn war, da war mein Vater in der SA, und den Hut hat er nicht mehr gezogen. Da war der Haltmayer keine Respektsperson mehr. Den musste man nicht mehr grüßen. Geld und Vieh hat er noch gehabt. Aber jeder hat gewusst: Der steht auf der Abschussliste.«
»Wieso?«, fragte Wallner. »Als reicher bayerischer Bauer hat der doch bestimmt keine Probleme mit den Nazis gehabt.«
»Oh doch. Des war a Unbelehrbarer. Katholisch war er und Monarchist. Die SA, das war für den der Pöbel. Die waren gegen die gottgewollte Ordnung. Gesindel und G’schwerl hat er sie geheißen. Vor ’33 – und danach auch. Das hat ihm Feinde gemacht.«
»Interessant«, sagte Wallner. »Aber was war mit Frieda Jonas?«
»Die schöne Frieda …« Otto lächelte melancholisch und drehte sich eine neue Zigarette. »Das war a ganz a geheimnisvolle G’schicht. Eines Tages war sie da. Auf dem Haltmayerhof. Sie ist aber nie im Dorf vorgestellt worden. Die erste Zeit war sie immer nur am Hof. Und die Knechte und Mägde vom Haltmayer durften auch net drüber reden. Aber man hat’s natürlich trotzdem mitgekriegt. Mir Buben ham uns mit dem Feldstecher im Gebüsch versteckt und sie beobachtet. Des war a Sensation.«
»Dass da eine junge Frau auf dem Hof war?«
»Was die gemacht hat. Die hat an Badeanzug gehabt. Und mit dem hat sie sich in die Sonne gelegt. Das hat im Dorf nie einer gemacht. Vielleicht a paar Touristen am Tegernsee. Aber wozu sich in die Sonne legen? Im Sommer hast geschaut, dass du in den Schatten kommst. Dafür hat die nix gearbeitet. Mir ham schon gedacht, der Haltmayer nimmt jetzt Sommerfrischler. Aber später ist die auch mal auf a Dorffest gegangen. Da hat’s dann geheißen, die wär mit dem Haltmayer verwandt. A Nichte oder so. Und die hat auch anders g’redt. Das hast du gehört, dass die aus der Stadt war. Aus München wär sie, hat einer gesagt. Aber eigentlich war sie von Düsseldorf. Daher die komische Sprache.«
»Wie alt war die Frau?«
»Achtzehn, zwanzig, schätz ich mal.«
»Kann hinkommen. Sie ist vermutlich 1921 geboren. Dann war die 1939 achtzehn«,
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