Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
schmeckten so köstlich, wie sie aussahen. Jedenfalls konnte sich Wallner nicht erinnern, jemals einen ähnlich zarten Hirsch gegessen zu haben.
»Das wird für dich jetzt ein bisschen seltsam klingen«, sagte er nach ein paar Bissen.
»Was denn?«
»Warum es auseinandergegangen ist.«
»Klingt spannend.« Claudias Augen blitzten neugierig zwischen den schwarzen Wimpern.
»Nein. Es ist überhaupt nicht spannend. Es war einfach so, dass … na ja, ich wollte Susanne heiraten und Kinder mit ihr.«
»Wie alt bist du?«
»Dreiundzwanzig. Alt genug für Kinder. Mein Vater und mein Großvater waren jünger.«
»Unglaublich.« Claudia ließ ihr Besteck sinken und sah Wallner verträumt an. »Welche Frau sagt da nein?«
»Susanne.«
Claudia nickte und widmete sich wieder ihrem Fisch.
»Sie sei noch nicht so weit, und sie wolle noch was sehen von der Welt und vom Leben. Also das übliche Zeug, das Männer sonst reden. Ich glaube, ich habe sie verängstigt. Oder sie hat mich nicht geliebt.« Wallner hörte kurz auf zu kauen und sah zur Decke. »Wahrscheinlich war es das. Sie war sich die ganze Zeit unsicher, wenn ich das von jetzt aus betrachte. Und dann frage ich sie, ob sie Kinder mit mir will. Das war wahrscheinlich das Zeichen, die Sache zu beenden.«
»Du wolltest mit ihr alt werden?«
Wallner nickte verträumt. »Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Was so weh tut, ist …«, Wallner stocherte auf seinem Teller herum und sah an Claudia vorbei in eine weite Ferne, »… dass es nicht ihre Vorstellung war. Sie wollte nicht mit mir alt werden. Aber was hat sie sich dann erwartet, als sie drei Jahre mit mir zusammen war?«
»Du bist ein echter Romantiker.«
»Ist man Romantiker, wenn man Kinder will?«
»Mit dreiundzwanzig? Ja.«
Wallner zuckte mit den Schultern und lächelte.
»Willst du gar nichts über mich wissen?«, fragte Claudia.
»Doch. Vieles. Aber meine Fragen wären sehr privat.«
»Ich kann mir doch aussuchen, ob ich sie beantworte, oder?«
»Wenn ich erst mal frage, will ich auch Antworten.«
»Okay. Das ist fair. Frag!«
Wallner nahm einen Schluck von dem Dôle, den ihm der Kellner zu seinem Hirsch empfohlen hatte, setzte das Glas ab und sah Claudia an, als ob die Frage in ihrem Gesicht geschrieben stünde. »Du bist verheiratet?«, fragte er schließlich.
»Ja. Woher weißt du das? Von meinem Vater?«
»Du wechselst ständig die Ringe an deiner Hand. Nur einen nicht. Er ist zwar auch mit Steinen besetzt. Aber ich nehme an, das ist dein Ehering.«
»Ist er.«
»Wie läuft’s in deiner Ehe?«
»Schlecht.« Claudias Miene erstarrte ein wenig.
»Dachte ich mir.«
»Wir sind seit zwölf Jahren verheiratet. Karl ist fast zwanzig Jahre älter und gerade in der Midlife-Crisis.«
»Das heißt, er hat eine Freundin, die jünger ist als du?«
»Sie ist ein Jahr älter als ich und seine Heilpraktikerin. Das tut doppelt weh. Ich meine, er betrachtet mich, als wäre ich fünfzig. Er gibt mir das Gefühl, er müsste mich austauschen, um noch mal was zu erleben und was weiß ich … Kinder mit einer Jüngeren zu bekommen.«
»Ihr habt keine Kinder?«
»Eine zwölfjährige Tochter.«
»Oh – schön. Wie heißt sie?«
»Simone. Ein ausgesprochen erwachsenes Mädchen, das die Kindereien seiner Eltern ertragen muss. Ihr würdet euch gut verstehen.«
»Vielleicht lerne ich sie ja mal kennen.«
»Wer weiß.« Claudia tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab, legte die Hände in den Schoß und dachte einen Augenblick nach. Dann lehnte sie sich in den Sessel zurück. »Du siehst – Kinder mit Anfang zwanzig, das geht. Aber deswegen muss man nicht zusammen alt werden.«
»Liebst du ihn noch?«
Claudia presste de Lippen aufeinander, was bei ihrem großen Mund immer noch sehr erotisch aussah. »Ja. Denke schon. Oder?« Sie atmete tief durch. »Kann man einen Menschen lieben, der einen nicht will?«
»Liebe fragt nicht. Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.«
»Ist das so?«
»Keine Ahnung. Stammt nicht von mir.«
Ein Schatten flog über Claudias Gesicht und ließ die Gedanken erahnen, die ihr durch den Kopf gingen. »Nein. Ich glaube, ich liebe ihn nicht mehr. Liebe ist keine Einbahnstraße. Oder?«
»Weiß nicht. Manchmal schon. Sind das nicht die Augenblicke, in denen die Liebe am tiefsten ist? Wenn du den andern nicht bekommen kannst? Oder wenn er gegangen ist?«
»Vielleicht ist es auch nur Trauer und Wut darüber, dass man jemanden
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