Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
dann hat sie mich in die Schweiz gebracht, zu Verwandten. Meine Mutter hatte jüdische Wurzeln. Und da hat man immer irgendwo Verwandte. Damals jedenfalls. Meine Pflegeeltern hießen Cantor und lebten in Luzern.«
»Und bei denen haben Sie den Rest Ihrer Kindheit verbracht?«
»Ja. Für mich sind sie meine eigentlichen Eltern. Im Herbst vierundvierzig kam dann ein Koffer mit der Post. Darin waren Schmuckstücke, Unterlagen und Fotos meiner Mutter. Und ein Begleitschreiben, aus dem hervorging, dass sie an Tuberkulose gestorben war. Das war das letzte Mal, dass ich von ihr gehört habe. Sie wurde in Frankreich begraben. Ich konnte natürlich nicht zur Beerdigung fahren. Es war ja Krieg.«
»Haben Ihre Pflegeeltern nicht darüber nachgedacht, Sie zu adoptieren? Ich vermute, das ist nicht geschehen. Sonst würden Sie nicht Jonas heißen.«
»Ich glaube, sie haben darüber nachgedacht. Aber meine leibliche Mutter war nicht sonderlich beliebt in der Familie. Man hat sie wegen ihres Lebenswandels verachtet. Gar nicht so sehr meine Pflegeeltern. Aber eine jüdische Familie ist groß, und da redet jeder mit. Ich denke, der Rest der Verwandtschaft war strikt dagegen, dass der uneheliche Sohn von Edith Jonas irgendwann einmal Anteile an der Cantorschen Möbelfabrik erbt. Deswegen heiße ich immer noch Jonas. Mein Pflegevater hat mir aber testamentarisch einiges an Bargeld vermacht und seine Sammlung von Ledermöbeln. Das hat mich auf den Gedanken mit dem Laden gebracht.«
»Haben Sie später noch mal von Ihrer Schwester gehört?«
»Nein. Bis vor ein paar Tagen dieser Herr Beck aus Dürnbach anrief.«
»Was genau wollte er von Ihnen?«
»Er hat mich zuerst gefragt, ob ich eine Frieda Jonas kenne. Ich habe ja gesagt und dass das meine Schwester sei, ich aber seit fünfzig Jahren nichts von ihr gehört hätte. Daraufhin hat er mir ein Geschäft vorgeschlagen. Ich könnte an einen Bauernhof kommen, hat er gesagt, der sicher weit über eine Million Mark wert sei. Er wollte mir erklären, was ich machen müsste. Ich müsste mich zuvor aber schriftlich verpflichten, ihm ein Viertel des Grundstückwertes zu bezahlen. Im Erfolgsfall. Es sei also vollkommen risikolos für mich.«
»Um welchen Hof es sich handelt, hat er nicht gesagt?«
»Nein. Die Details sollte ich erfahren, wenn ich das Papier unterschrieben hätte.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich hab gesagt, ich sei an solch dubiosen Geschäften nicht interessiert, müsste das aber noch mit meiner Frau besprechen. Und habe mir seine Telefonnummer geben lassen.«
»Wie ist er eigentlich an Ihre Adresse gekommen?«
»Sein verstorbener Vater habe gewusst, dass Frieda einen Bruder namens Dietmar hatte. Angeblich hätte sein Vater das irgendwo aufgeschrieben. Das kam mir schon etwas verdächtig vor. Wieso sollte der Mann so etwas aufgeschrieben haben?«
»Der Mann hat solche Sachen aufgeschrieben.«
»Tatsächlich?« Jonas nahm einen Schluck Kaffee und schüttelte verwundert den Kopf. »Nun – Beck wusste wohl auch, dass meine Mutter Verwandte in der Schweiz hatte, und hat auf gut Glück bei der Telefonauskunft angerufen. Anscheinend bin ich der einzige Dietmar Jonas in der Schweiz.«
Wallner sah Claudia an, die nachdenklich wirkte. »Was meinst du?«, fragte er. »Vielleicht hat der alte Haltmayer Frieda Jonas den Hof vererbt?«
»Ägidius Haltmayer ist nach Frieda Jonas gestorben, oder?«
»Ja.«
»Erben kann nur, wer zur Zeit des Erbfalls lebt.«
»Und dass jemand anderer ihr was vererbt hat? Vor ihrem Tod?«
»Das Problem ist die Zeit«, sagte Claudia und sah dabei Jonas an. »Wenn Ihre Schwester tatsächlich einen Hof geerbt hätte, dann muss das über vierzig Jahre her sein. Die Leute, die stattdessen zu Unrecht für die Erben gehalten wurden, hätten den Hof inzwischen ersessen. Das heißt, sie haben endgültig das Eigentum daran erworben. Dazu müssen sie nicht einmal gutgläubig gewesen sein.«
»Vielleicht wusste Beck das nicht«, wandte Wallner ein.
»Das kann gut sein.« Claudia deutete auf die Fotoalben. »Haben Sie Fotos von Ihrer Schwester?«
»Nicht viele. Hier, schauen Sie.« Jonas hatte bereits einige Seiten mit Einmerkern versehen und schlug sie jetzt auf. Das erste Foto zeigte Edith Jonas mit einem Baby auf dem Arm in einem Garten. Neben ihr ein etwa dreißig Jahre alter Mann. »Das Bild ist von 1921.«
»Wissen Sie, wer der Mann ist?«
»Nein. Tut mir leid. Vielleicht der Vater. Aber ich weiß es nicht. Das war über zehn Jahre vor
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