Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
wird am Monatsende von Karls Konto abgebucht.«
»Macht es dir nichts aus? Ich meine, die Leute hier kennen dich und wissen, dass du verheiratet bist.«
»Es macht mir was aus, dass er sich hier mit seiner Heilpraktikerschlampe die Seele aus dem Leib vögelt. Hatten wahrscheinlich Tantrasex. Ich hab mir übrigens ein anderes Zimmer geben lassen als das, was wir sonst haben, wenn es dich beruhigt.«
Wallner sah sich um. »Ja, doch. Du weißt, ich neige zu Spießigkeit. Sag mal …« Das Ei war innen fast flüssig. Das mochte Wallner nicht. »Dein Mann scheint richtig Geld zu haben.«
»Tut zumindest so. Er macht irgendwelche undurchsichtigen Geschäfte in der Karibik. Sollte mich nicht wundern, wenn sich bei der Scheidung rausstellt, dass er pleite ist. Also genieß das Frühstück.«
Wallner aß sein flüssiges Ei trotzdem, nachdem er es nun schon mal gepellt hatte. Hätte er es stehen lassen, wäre ihm den ganzen Tag ein ungutes Gefühl nachgegangen, dass etwas nicht erledigt war. »Du hast gar keinen Termin in Sankt Moritz, stimmt’s?«
»Nein. Ich bin wegen dir da.« Sie gab ihm einen Kuss und beschmierte ihn dabei mit Erdbeermarmelade.
»Dann kannst du ja zu Herrn Jonas mitkommen.«
Dietmar Jonas war Inhaber eines Geschäftes, in dem ausschließlich antike Dinge aus Leder verkauft wurden. Von der Couch über den Koffer bis zum Medizinball. Der Laden öffnete um elf, an manchen Tagen erst am Nachmittag. Nicht nur der Verkaufsraum, auch das Hinterzimmer roch angenehm nach Leder und diversen Pflegemitteln. Hier saßen Claudia, Wallner und Dietmar Jonas zusammen und tranken Kaffee, den Jonas vom Italiener gegenüber geholt hatte.
Auf dem Tisch lagen drei Fotoalben und einige lose Dokumente. Darunter war die Geburtsurkunde von Edith Jonas, geboren am 3. Juni 1899 in Bad Godesberg. Der Vater Heinrich Jonas war ausweislich der Urkunde Kaufmann.
»Eine Sterbeurkunde gibt es nicht?«
»Doch. Aber die habe ich nicht mehr gefunden.«
»Wann ist Ihre Mutter gestorben?«
»Ich glaube, es war vierundvierzig. Ich war neun Jahre alt. Aber sie war da schon nicht mehr bei mir.«
»Vielleicht erzählen Sie einfach der Reihe nach, was Sie noch aus der Zeit wissen. Über Ihre Mutter, Ihre Schwester und sich selbst.«
»Ich bin vierunddreißig geboren worden. Wir haben in Düsseldorf gelebt.«
»Ihre Mutter war nicht verheiratet?«
»Nein. Sie hat uns alleine aufgezogen. Das war ziemlich schwer damals. Ich glaube, sie hat aber nie wirklich gearbeitet. Also in einem Beruf, wo man Geld verdient.«
»Wo kam das Geld dann her?«
»Es gab immer irgendwelche Herren , wie sie sagte. Die haben ihr Geld gegeben. Sie war keine Prostituierte. Aber sie hat sich wohl von ihren Freunden aushalten lassen.«
»Da waren auch verheiratete Männer dabei?«
»Die Mehrzahl, würde ich sagen.«
»1939 lebten Sie also zusammen mit Ihrer Mutter und Ihrer Schwester Frieda in Düsseldorf?«
»Nein. Da nicht mehr. Wir sind 1938 nach München gezogen.«
»Aha. Und wissen Sie noch, was 1939 passiert ist?«
»Soweit ich mich erinnern kann oder aus Erzählungen weiß, hat sich Folgendes zugetragen: Meine Mutter kam eines Tages im Sommer und hat gesagt, wir müssten weg. Ins Ausland. Warum, hat sie nicht gesagt. Ich vermute, es war wegen ihrer jüdischen Herkunft. Jedenfalls mussten wir weg aus Deutschland. Frieda könnte aber nicht mitkommen, hat sie gesagt. Sie würde aufs Land gehen zu einem Onkel.«
»Waren Sie verwandt mit den Haltmayers?«
»Unwahrscheinlich. Ich glaube, Ägidius Haltmayer war einer der Herren , mit denen meine Mutter verkehrte. Ich hatte ihn ein paar Mal in München gesehen. Aber Genaueres kann ich Ihnen darüber nicht sagen. Jedenfalls musste Frieda aufs Land. Ich weiß, dass sie sehr geweint hat beim Abschied. Das war schlimm für sie. Und für mich auch. Ich hatte meine große Schwester bis dahin nie weinen sehen.«
»Warum durfte Ihre Schwester nicht mit ins Ausland?«
»Ich glaube, aus rein finanziellen Gründen. Meine Mutter hatte ja fast kein Geld. Und ob man zwei oder drei durchfüttern muss, das macht einen Unterschied.«
»Sie sind mit Ihrer Mutter in die Schweiz gezogen?«
»Nein. Wir sind erst nach Paris. Dort kannte meine Mutter jemanden. Es war ein Deutscher, der geschäftlich in Paris zu tun hatte. Ich glaube, ihm gefiel nicht, dass seine Geliebte ein Kind hatte. Meine Mutter sagte eines Tages zu mir: Paris, das ist keine Stadt für Kinder. Warum das so sein sollte, war mir nicht klar. Und
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