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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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nach Miesbach in fünf Stunden. Zeit genug, um über Claudia nachzudenken. Irgendwie passten sie nicht recht zusammen. Sie war zehn Jahre älter, verheiratet, Luxus gewöhnt und hatte eine zwölfjährige Tochter. Wallner hatte noch ihren Geruch in der Nase, der an seinen Kleidern haftete. Er sah ihre schwarz funkelnden Augen und ihren vollen Mund vor sich und spürte den üppigen, weichen Körper an seiner Seite, sah die Haarsträhne, die ihr ins müde Gesicht fiel, und wie sie lachend die Krümel vom Bett wischte.
    Wallner war flau im Magen, das Herz drückte und war ihm schwer, und zur gleichen Zeit fühlte er sich unglaublich leicht, wie er durch die verschneiten Berge nach Norden fuhr. Der Tag war düster und grau und wolkenverhangen, Schneeflocken stoben über die Autobahn. Und alles, was er in dieser grauen Winterwelt sah, machte ihn seltsam glücklich. Kein Zweifel, er war verliebt.
    Obwohl es erst kurz nach vier war, als Wallner in Miesbach eintraf, dämmerte es schon, und in allen Zimmern brannten die Lichter. In den Gängen roch es nach eingebrannten Kaffeeresten. Lukas befand sich im Soko-Raum, schüttelte Hände, klopfte auf Schultern und fragte, wie die Arbeit voranging. Als er Wallner sah, nahm er ihn sofort mit in sein Büro und bedeutete Höhn, ebenfalls mitzukommen.
    Das Foto lag auf dem Papierchaos ganz oben. Es zeigte einen Mann in Uniform, neben ihm zwei ältere Männer und einen sehr jungen Mann, alle in Zivil, aber alle mit Gewehren und den Volkssturmarmbinden.
    »Wer ist das?«, fragte Wallner.
    »Drehen Sie’s um.«
    Auf der Rückseite stand in ordentlicher Handschrift der Vermerk:
SA-Rottenführer Sebastian Haltmayer mit Volkssturm auf der Jagd nach entlaufenen Häftlingen 2. Mai 1945
    »Der Uniformierte ist unser Sebastian Haltmayer? Der, der jetzt den Hof hat?«
    »Ja. Damals war er Mitte zwanzig. Offenbar hat man ihm einen Trupp des Volkssturms anvertraut.«
    »Volkssturm – was war das genau?«
    »Das war das letzte Aufgebot. Männer, die für den Wehrdienst schon zu alt waren, oder Buben, die zu jung waren, wurden da eingezogen, bekamen eine minimale Ausbildung und sollten sich dem Feind entgegenstellen. Das war natürlich ein Selbstmordkommando. Die hatten Beutegewehre und oft noch nicht einmal die passende Munition dazu.«
    »Wo ist das Bild aufgetaucht? Ich dachte, der Ordner für das Jahr 1945 ist verschwunden.«
    »Ist er auch. Das Foto war in einem neueren Ordner. Ist da wohl mal versehentlich reingeraten.«
    »Das bei Beck. Passt eigentlich nicht zu ihm.«
    »Hab mich auch gewundert. Aber jeder macht mal Fehler«, sagte Höhn. »Fällt Ihnen an dem Datum etwas auf?«
    »Zweiter Mai … War das der Tag, an dem …?«
    »Das war der Todestag von Frieda Jonas. Wenn das, was Otto Kreuthner Ihnen erzählt hat, stimmt, war das Mädchen 1939 eine Weile in Dürnbach und ist dann von der Bildfläche verschwunden.«
    »Das stimmt auch mit dem überein, was ich in Sankt Moritz erfahren habe. Was schließen Sie daraus?«
    »Vielleicht war sie inhaftiert. In irgendeinem Lager. Haben Sie mal was von den Todesmärschen am Ende des Krieges gehört?«
    »Die von den KZs ausgingen?«
    »Ja. So einer ging auch von Dachau weg Richtung Süden. Das Würmtal entlang. Dann nach Osten bis zum Tegernsee. Vielleicht ist Frieda Jonas auf die Weise nach Dürnbach zurückgekommen.«
    »Vielleicht gibt es dann sogar Zeugen – irgendwo auf der Welt. Mithäftlinge. Wo könnte man so etwas herausbekommen?«
    »Rufen Sie mal in Yad Vashem an.«
    »Das ist dieses Dokumentationszentrum in Israel?«
    »Ja. Könnte sein, dass sie dort Adressen von Überlebenden aus den Lagern haben. Einfach mal versuchen.« Lukas ließ seine Hand über dem Papierberg auf dem Schreibtisch kreisen. »Wo hab ich das jetzt hin, was Sie mir vorhin …?«
    »Da, der gelbe Aktendeckel«, assistierte Höhn.
    »Ah, danke!« Lukas reichte Wallner die Akte. »Schauen Sie mal rein. Wir haben jemand ins Archiv des Amtsgerichts geschickt. Das hat er ausgegraben. War eine gute Idee von Ihnen.«
    Wallner überflog den Inhalt des Aktendeckels und sah Lukas und Höhn an. »Dann sollten wir wohl mal mit Herrn Haltmayer reden.«
    »Das sollten wir definitiv tun.«

33
    S ebastian Haltmayer war zeit seines Lebens hinter dem Geld her gewesen. Mit zweiundsiebzig hatte er seinen Hof immer noch nicht übergeben, und wenn sich die Kassiererin im Supermarkt um ein paar Pfennige zu seinen Gunsten vertat, dann konnte Haltmayers gute Laune einen ganzen Tag

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