Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
uns Ihre Zeit geopfert haben.«
»Es war mir Pflicht und Vergnügen.«
Kieling gab ohne größere Umstände seine Fingerabdrücke und eine DNA-Probe ab. Dann wurde er entlassen. Anschließend saßen die drei Kommissare eine Weile schweigend beisammen. Schließlich sagte Wallner: »Sind wir jetzt irgendwie weiter?«
Lukas hatte eine Zigarette im Mund und spielte mit dem Feuerzeug, ohne die Zigarette anzuzünden. Schließlich kam er zu einer Erkenntnis, nahm die kalte Zigarette aus dem Mund und sagte: »Wir müssen noch mal mit dem Haltmayer reden.«
40
D ie SS hatte im Krieg unvorstellbare Verbrechen begangen, und die meisten Beteiligten rechneten damit, dass die Sieger sie nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches zur Rechenschaft ziehen und hinrichten würden. Was dann tatsächlich geschah, dürfte die ehemaligen SS-Angehörigen wohl am meisten überrascht haben. Die Hauptverantwortlichen wurden, soweit sie noch am Leben und auffindbar waren, ohne großes Engagement abgeurteilt und einige von ihnen hingerichtet. Das Gros der SS-Leute jedoch wurde nie zur Rechenschaft gezogen und lebte im Nachkriegsdeutschland ein bürgerliches Leben.
Während nun Juristen, Mediziner und andere SS-Leute mit guter Ausbildung nach dem Krieg wieder erfolgreich in ihren alten Berufen arbeiteten, gab es bei dem einen oder anderen Angehörigen der Unterschicht die Bestrebung, alte Pfade zu verlassen. In der Zeit bei der SS hatten sich viele Fähigkeiten angeeignet, die auch in gewissen Bereichen des zivilen Leben nutzbar waren – etwa im Rotlichtmilieu.
Max Endorfer hatte noch im Jahr 1945 angefangen, seine Freundin in München auf den Strich zu schicken. Die GIs zahlten gut, oft in Zigaretten, manchmal auch in Dollars. Drei Jahre später hatte Endorfer schon vier Freundinnen, die für ihn arbeiteten, und hatte außerdem den ersten Zuhälterkollegen erschossen, der der Ansicht war, Endorfers Mädels hätten in seiner Straße nichts zu suchen. Das verschaffte ihm den nötigen Respekt in der Szene und seinen Geldgebern die Gewissheit, dass ihre Investition bei Endorfer in guten Händen war. Anfang der fünfziger Jahre folgte das erste Bordell, dann Nachtclubs und in den sechziger Jahren ein Studio für Kraftsport. Aus dem Bordellgeschäft zog sich Endorfer in den achtziger Jahren zurück und setzte auf Peepshows und nach deren Verbot auf Pornokabinen. Jetzt war er neunundsechzig Jahre alt und Mitinhaber zweier Nachtclubs im Münchner Bahnhofsviertel.
Es war früher Nachmittag, als Max Endorfer an der Bar des mäßig besuchten Cabaret Beverley einen Anruf bekam. Er konnte die Stimme nicht zuordnen, und auch der Name Albert sagte ihm zunächst nichts. Erst als der Anrufer auf eine gemeinsame Zeit in Polen anspielte, begriff Endorfer, wen er am Apparat hatte.
»He Albert, oide Schäs’n! Des gibt’s ja net. Was treibst denn immer?« Endorfer hatte sich im Gegensatz zu Kieling das Bairisch erhalten. In seinem Metier wurde Bodenständigkeit goutiert.
Nach einigem Smalltalk kam Kieling zur Sache. »Ich steck ein bisschen in Schwierigkeiten. Es gibt da Leute bei der Polizei, dir mir was anhängen wollen. Eine Geschichte von damals, kurz vor Kriegsende. Ich hab damit überhaupt nichts zu tun.«
»Verdammte Sauerei, des gibt’s ja net!« Endorfer war es vollkommen einerlei, ob Kieling etwas verbrochen hatte oder nicht. Und Kieling wusste das natürlich auch. Aber ebenso klar war, dass man nicht wusste, ob jemand mithörte. Das musste nichts mit Kieling zu tun haben. Es gab viele Gründe, das Telefon eines Lokals im Rotlichtviertel abzuhören.
»Tät vorschlagen, wir treffen uns mal.«
»Ich fürchte, es muss bald sein.« Kieling klang beunruhigt. Das fand Endorfer erstaunlich. Kieling war der kälteste Drecksack, den er je kennengelernt hatte.
»Ich bin Rentner. Ich hab Zeit. Willst vorbeikommen?«
»Nein. Lieber in der Kirche.«
»Ist in Ordnung. Heute Abend?«
»Neunzehn Uhr?«
Endorfer stimmte zu. Die Kirche war die Bezeichnung für eine bestimmte Stelle an der Isar in der Nähe der Tierparkbrücke. Der Weg war nachts beleuchtet, und man konnte sich im Gehen unterhalten, was ein Abhören so gut wie unmöglich machte.
Endorfer hatte wenig Lust, sich mit der Polizei anzulegen. Bis auf kleinere Strafen wegen Körperverletzung war er der Justiz bis jetzt entgangen, und auf seine alten Tage noch einzufahren war das Letzte, was er wollte. Andererseits – Meine Ehre heißt Treue . Der SS-Dolch mit der Inschrift lag noch immer
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