Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
in einer Kiste im Keller. Nicht, dass er die Wiederkehr des Nationalsozialismus herbeisehnte. Aber die alte Kameradschaft schweißte zusammen. Max Endorfer hatte mit Albert Kieling im Warschauer Ghetto gekämpft, als sich die Juden plötzlich in hinterhältige Partisanen verwandelt hatten. Da gab es einige Momente, in denen ihr Leben in Gefahr gewesen war. Und sie hatten sie gemeinsam überstanden. Nein – einen alten Kameraden ließ er nicht hängen. Abgesehen davon hielt sich das Risiko in Grenzen. Denn es dürfte der Polizei schwerfallen, eine Verbindung zwischen ihm und Kieling herzustellen. Sie hatten sich über zehn Jahre nicht gesehen und weder gemeinsame Freunde noch sonstige Verbindungen.
Die Nacht war kalt und die Pfützen auf dem Weg an der Isar gefroren. Man musste aufpassen, vor allem, wenn man nicht mehr der Jüngste war. Den beiden älteren Herren, die im Schein der Laternen hier spazieren gingen, sah man trotz ihres Alters immer noch eine gewisse Körperspannung an. Der eine der beiden war kräftig gebaut, und manch Jüngerer hätte sich wohl ungern mit ihm angelegt.
»Ich weiß, das ist keine Kleinigkeit, die ich von dir erbitte«, sagte Kieling. »Und wenn es dir zu riskant ist, dann sag es. Ich hätte Verständnis.«
»Geh, red keinen Schmarrn. Ist mir irgendwas amal zu riskant gewesen?«
Kieling lachte. »Nein. Bestimmt nicht.«
»Ich denk, mir werden mit den zwei Burschen plus meine Wenigkeit auskommen. Zu viele Mitwisser kannst da net brauchen.«
»Ja. Es müssen Leute sein, denen du wirklich vertraust. Da gibt es wahrscheinlich nicht so viele.«
»Des is ja des Elend. Die meisten von dene jungen Burschen san Schlägertypen. Die kannst als Türsteher einsetzen, net bei so was. Aber der Makis, des is a ganz a Fitter.«
Kieling nickte zustimmend. »Die Griechen, das waren immer gute Kämpfer. Die besten Partisanen, die ich gesehen habe.«
Endorfer blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an. »Wann warst denn du in Griechenland?«
»Nach der Warschauer Zeit. Als die Italiener umgefallen sind, haben sie uns hingeschickt.«
»Hab ich gar net gewusst.« Sie gingen weiter die Isar entlang in Richtung Großhesseloher Brücke. »Wie wär’s, wenn mir die Aktion in München durchziehen? Irgendein altes Fabrikgelände. Wir sagen, jemand hätt da eine Leiche gefunden und dass die Staatsanwältin kommen muss …«
»Nein, nein. Für München ist die gar nicht zuständig. Nur für die umliegenden Landkreise. Das hab ich alles schon recherchiert. Ich sag dir jetzt mal, wie ich mir das vorstelle …«
41
S ebastian Haltmayer wurde morgens von einem uniformierten Beamten zum Vernehmungsraum geführt. Der Flur war nicht so lang wie in großstädtischen Polizeipräsidien, aber karg und freudlos. Durch die großen Fenster fiel wenig Licht von draußen herein. Der November war trüb an diesem Tag.
Eine Nacht hatte Haltmayer in der Zelle verbracht. Vier mal zwei Meter. Jetzt hatte er Angst. Schon das Gefühl, für eine Nacht nicht aus diesen acht Quadratmetern herauszukommen, hatte ihn in Panik versetzt. Wenn sie ihn wegen Mordes verurteilten, würde er vielleicht den Rest seines Lebens in einer Zelle verbringen. Der Gedanke schnürte ihm den Atem ab. Konnten sie ihm wirklich einen Mord nachweisen? Vielleicht nicht. Aber auch dann würde er möglicherweise Jahre in Untersuchungshaft sitzen.
Sebastian Haltmayer zitterte, als er die Kaffeetasse zum Mund führte.
»Ich hoffe, es war nicht allzu unbequem bei uns«, begann Lukas die Vernehmung. Er saß Sebastian Haltmayer am Vernehmungstisch gegenüber. Der blieb stumm und setzte die Kaffeetasse klappernd auf den Unterteller. »Wie ich schon sagte, sieht es nicht gut für Sie aus. Uwe Beck hat Sie offensichtlich erpresst, und Sie haben ihm deswegen gedroht. Und die Geschichte vom Mai fünfundvierzig spitzt sich langsam zu für Sie.«
Haltmayer sah Lukas irritiert an. Lukas gab Höhn, der gerade ins Zimmer kam, ein Zeichen, sich dazuzusetzen.
»Wir haben inzwischen herausgefunden, wer der SS-Mann war, der Ihnen damals den Befehl gegeben hat, Frieda Jonas zu suchen.« Höhn ließ eine kleine Pause folgen. »Es war Albert Kieling. Kennen Sie den?«
Haltmayer überlegte einen Moment, ob er die Bekanntschaft mit Kieling leugnen sollte, sah aber ein, dass das unsinnig war. »Ja. Natürlich. Er wohnt ja in Dürnbach.«
»Stimmt. Sie sitzen mit ihm am Stammtisch«, ergänzte Wallner, der hinter ihm stand. Haltmayer starrte die Tischplatte
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