Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Miesbach verfolgt und dann vor dem Büro gewartet, bis sie mit Ihnen und Kreuthner wieder rauskam. Die mussten davon ausgehen, dass Sie Kriminalbeamte sind.«
Am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand.
»Ja, dann stellen Sie bitte durch. Danke.« Es dauerte ein paar Sekunden, dann war Kieling am Apparat. »Herr Kieling – hier spricht Lukas. Ich habe mich gefragt, ob Sie mir etwas sagen möchten … In einer Stunde könnte ich da sein.« Lukas blickte auf seine Uhr. »Gut. Gegen halb vier.« Er legte auf.
»Was hat er gesagt?«
»Wenn ich über seinen Fall reden möchte, könnte ich gern vorbeikommen. Er hätte mit meinem Anruf gerechnet. Mehr wollte er am Telefon nicht sagen.«
»Also Kieling?«
»Er muss jemanden beauftragt haben.«
»Hat Kieling Kontakte ins kriminelle Milieu? Ich bin mir sicher, das waren Profis. Die haben nicht das erste Mal ein Verbrechen begangen. Dafür waren die zu abgebrüht.«
»Ich habe keine Ahnung. Finden Sie es raus.«
54
D ie Justizvollzugsanstalt München, im Volksmund kurz Stadelheim genannt, lag in Giesing, einem südlichen Stadtteil, nur einen Kilometer Luftlinie vom Trainingsgelände des FC Bayern München entfernt. Es war ein festungsähnlicher Bau mit Wachtürmen und Stacheldraht auf den hohen Mauern und eine der größten Haftanstalten der Republik. Die Liste der prominenten Häftlinge reichte von Ludwig Thoma über Adolf Hitler, Ernst Röhm und die Mitglieder der Weißen Rose bis hin zu Konstantin Wecker. Wer in den umliegenden Landkreisen inhaftiert wurde, kam hier in Untersuchungshaft.
Kielings Anwalt Dr. Kulka war im Gesprächsraum, als Lukas eintraf. Nach kurzer Begrüßung setzte sich Lukas zu Kieling an den Tisch, Kulka nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben seinen Mandanten.
»Ich bin ein bisschen erstaunt«, begann Lukas das Gespräch und wandte sich an Kieling. »Sind Sie sicher, dass wir das zu dritt besprechen wollen?«
»Herr Dr. Kulka wird uns später verlassen. Ich möchte, dass er am Anfang erklärt, was mein Anliegen ist. Er kann das besser.«
»Bitte«, sagte Lukas in Richtung Kulka.
Kulka hatte einen ledergebundenen Notizblock vor sich liegen, auf dem er aber nichts notierte. »Mein Mandant sagte mir, Sie seien möglicherweise gesprächsbereit. So, wie die Sache aussieht, ist es wohl zu – ich sag mal: versehentlichen – Fehlern bei der Beweiserhebung gekommen, durch die Herr Kieling fälschlich belastet wurde.«
»Wo sollen Fehler vorgekommen sein?«
»Mein Mandant kann sich beim besten Willen nicht erklären, wie etwa ein Haar von ihm auf den Leichnam von Uwe Beck geraten ist. Auch Fingerabdrücke meines Mandanten im Haus des Opfers sind … eigentlich nicht möglich. Hinzu kommt, dass sich der Zeuge Haltmayer irren muss. Herr Kieling hat Frieda Jonas nicht getötet. Also kann der Zeuge das auch nicht beobachtet haben.«
»Der Zeuge war sich sehr sicher. Ich meine – was soll ich machen, wenn er sagt, er hat es gesehen?«
»Sie sind ein erfahrener Kriminalbeamter. Gehen Sie mal in sich und prüfen Sie, ob der Zeuge nicht unter zu großem Druck gestanden hat. Unter Umständen wäre er ja selbst belangt worden, wenn er nicht gegen meinen Mandanten ausgesagt hätte. Im Übrigen: Der Vorfall ist siebenundvierzig Jahre her. Da schleichen sich Fehler ins Gedächtnis ein. Ich bin sicher, dass Sie das herausfinden, wenn es so war.«
Lukas schwieg und betrachtete Kulka, der den teuren Notizblock in seinem Anwaltskoffer verschwinden ließ. Offenbar war sein Part beendet. Kielings Unterarme ruhten auf der Resopalplatte des Tisches, die Hände waren wie zum Gebet gefaltet. Er machte einen sehr gesammelten Eindruck.
Lukas fragte sich, ob der Anwalt von der Entführung wusste. Vermutlich nicht. Kulka verteidigte zwar alte Nazis. Aber das waren in der Regel keine Kriminellen aus der Unterwelt, sondern angepasste Bürger, die seit dem Ende des Krieges ehrbare Berufe ausübten. Wahrscheinlich hatte ihm Kieling lediglich erzählt, dass er unschuldig sei und der Leiter der Kripo Beweise gefälscht habe, um ihn für andere, unbewiesene Verbrechen zu bestrafen.
»Ich weiß, Sie gehen davon aus, dass Herr Kieling während des Krieges andere Straftaten begangen hat. Ich bitte Sie, unseren Rechtsstaat nicht zu korrumpieren, nur weil Sie meinen, jemand für unbewiesene Taten zur Rechenschaft ziehen zu müssen.«
Lukas trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und sah zu Kieling. Der verstand das Zeichen und sagte: »Vielen Dank,
Weitere Kostenlose Bücher