Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Eindruck, hoch oben auf einem Berg zu sein.
Die Hütte war kalt, und es roch nach Holz und Staub. Einer der Männer zündete ein Feuer an. Der andere führte Claudia zu einer Bank. Dann wurde ein starkes Licht eingeschaltet, und jemand nahm Claudia den Sack vom Kopf. Eine grelle Lampe war auf ihren Kopf gerichtet, so dass sie nicht erkennen konnte, was hinter der Lampe vor sich ging. Es war relativ dunkel in der Hütte.
Claudia trug immer noch die Handschellen, die ihre Hände auf dem Rücken fixierten. »Ich muss aufs Klo. Und kann mir mal jemand die Handschellen abnehmen?«
Einer der Männer kam zu Claudia und schloss ihr die Handschellen auf. Er hatte jetzt eine schwarze Mütze mit Löchern für Augen und Mund über dem Kopf. Claudia fragte sich, wozu diese Vorsichtsmaßnahme dienen sollte. Sie hatte ihre Entführer doch schon gesehen. Andererseits waren das ziemlich sicher nicht die echten Gesichter der Männer gewesen. Falsche Bärte, falsche Haare, vielleicht hatten sie sogar an ihren Nasen und sonst wo herummodelliert. Vermutlich hatten sie ihre Maskerade aus Gründen der Bequemlichkeit abgelegt.
»Halten Sie die Hände vor die Brust. Finger spreizen.«
»Wozu das denn?«
Statt einer Antwort schlug der Mann ihr mit den Fingerknöcheln heftig gegen den Kopf. »Noch eine dumme Frage, und ich schlag dir die Zähne ein.«
56
E s war bereits dunkel, als Lukas aus München zurückkam. Er rief Wallner und Höhn zu sich ins Büro. Wallner schlug vor, Kreuthner dazuzubitten. Der sei bei dem Überfall dabei gewesen, und wenn es um Berufskriminelle ging, dann könne er vielleicht etwas beisteuern. Zunächst berichtete Lukas über sein Treffen mit Kieling in Stadelheim.
»Was genau will er von Ihnen?«, fragte Wallner ungläubig nach.
»Dass ich die Indizien, die wir gegen ihn haben, als Fälschung hinstelle und Haltmayer dazu bringe, seine Aussage zu widerrufen.«
»Aber Kieling ist nicht dumm. Es muss ihm doch klar sein, dass Sie Ihre Aussagen widerrufen, sobald Claudia wieder frei ist.«
»Vielleicht geht es ihm nur darum, aus dem Gefängnis zu kommen, um sich dann abzusetzen«, sagte Höhn.
»Nein.« Lukas schüttelte den Kopf. »Der Mann ist über siebzig. Der will nicht den Rest seiner Tage auf der Flucht sein. Der will die Sache vom Hals haben.«
»Aber wie? Was immer Sie tun – Sie können es anschließend rückgängig machen.«
»Das ist die Frage. Wenn ich zum Beispiel Haltmayer dazu bringe, seine Aussage zu widerrufen, dann wird es schwierig, das noch mal als Beweis vorzulegen. Er ist ja nicht erpresst worden.«
»Warum sollte er seine Aussage zurückziehen?«
»Das würde ich hinkriegen, glauben Sie mir.« Lukas fingerte die letzte Zigarette aus der Packung, zerknüllte die Schachtel und warf sie auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. »Damit sollten Sie sich aber gar nicht beschäftigen. Die wichtigste Frage ist: Wie kriegen wir Claudia frei?«
»Dazu müssten wir wissen, wo sie ist. Oder wer sie entführt hat.« Höhn zog eine Liste aus einem Aktenordner. »Wir haben Kielings Telefonate in den letzten Tagen überprüft. Da ist nichts dabei, was irgendwie verdächtig wäre. Fast alles Telefonate mit seinem Sohn oder mit Bekannten im Tegernseer Tal. Zwei Gespräche mit der Gemeinde und eins mit dem Landratsamt. Wahrscheinlich eine Bausache.«
»Wen immer er angerufen hat, damit er meine Tochter entführt – das hat Kieling natürlich nicht von zu Hause aus gemacht. Hat er ein Handy?«
Wallner schüttelte den Kopf.
»Dann wahrscheinlich aus einer Telefonzelle.«
»Ich habe noch mal mit Elisabeth Muhrtaler gesprochen. Das ist die ehemalige Wirtin vom Semmelwein in Dürnbach.«
»Die mit Alzheimer?«
»Sagen wir, sie hat Gedächtnisprobleme. Aber solche Leute erinnern sich oft erstaunlich gut an Dinge, die lange zurückliegen. Die Frau war offenbar unglücklich in Kieling verliebt und hat deswegen großen Anteil an seinem Leben genommen. Sie konnte sich erinnern, dass Kieling einen alten Freund aus den Kriegsjahren hatte, der ziemlich unsolide war und schon in den fünfziger Jahren mit dickem Auto, Sonnenbrille und zwei leichtbekleideten Mädchen in Dürnbach auftauchte. Später habe Kieling mal erwähnt, dass dieser Max, so hat er geheißen, einen Nachtclub in München hätte.«
»Das ist unsere heiße Spur? Die Aussage einer dementen alten Dame?« Höhn schüttelte ungläubig den Kopf.
»Haben Sie eine bessere Spur?«
»Na, meinetwegen«, lenkte Höhn ein. »Dann überprüfen
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