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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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fragte sich später, wenn man selbst wieder allein und er hier bei ihr war, ob sie dann an ihn oder an seinen Nebenbuhler dachte. Aal neigte eigentlich nicht dazu, sich selbst allzu rosig zu sehen, aber in diesem Fall hielt er auch nicht besonders viel von seinem Gegenspieler.
    Doch andererseits trug sie immer noch den Ring des anderen.
    Beide waren unbekleidet, und ein einziges Laken lag locker über ihren nackten Körpern. Ihr Bett war zu eng für zwei, zumindest wenn sie nebeneinanderlagen. Aufeinander fiel es ihnen nicht einmal auf.
    Wie lange würde es Bestand haben mit ihm und dieser Frau, die sich auf die Seite gedreht hatte und an ihn schmiegte, wie lange konnte es Bestand haben? Diese verschwitzten Treffen am Nachmittag, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und herabbrannte und jeder Schweißtropfen nach Risiko schmeckte. Er wusste nicht, wie viel davon auf echter Anziehung und wie viel auf dem verführerischen Flirt mit dem Schicksal basierte. Sie waren so verschieden, so unglaublich verschieden; wenn diese beiden unterschiedlichen Welten jemals kollidieren sollten, dann war’s das. Sie hatten beide ihre Bedürfnisse, und wenn diese erfüllt waren, dann sah es Aal jedes Mal als eine Art glücklichen Zufall an.
    Auch wenn er sie auf seine Art wohl liebte.
    Er drehte sich auf die Seite und strich Evelyn Mullavey eine goldene Locke aus dem Gesicht, woraufhin sie sanft lächelte.
    »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Aal. »Antworte nicht so, als würde die Frage von mir kommen, sondern als würde dich irgendjemand fragen, den du gerade gut genug kennst, um darüber zu reden.«
    »In Ordnung.« Sie ließ eine Hand an der Innenseite seines Oberschenkels entlanggleiten. Weiß auf Weiß, sie ging freiwillig auch nicht gern in die Sonne. »Ich bin ganz Ohr.«
    »Welche Zukunft erwartet dich deiner Meinung nach? Unter diesem Dach meine ich. Wo siehst du dich?«
    Evelyn öffnete kurz ihren Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn dann aber ebenso schnell wieder. Ihr sanftes Gesicht schien einen schrecklichen Moment der Besinnung lang überschattet zu sein. Dann sah sie ihm in die Augen, und ihre eigenen wirkten trostlos und leer.
    »Ich sehe überhaupt nichts«, erwiderte sie. »Ich sehe nicht mehr so weit voraus, Terrance. Das habe ich schon vor langer Zeit aufgegeben – als ich feststellte, dass es zu sehr wehtut.«
    »Was hast du damals gesehen?« Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Eine bucklige alte Frau, deren Seele verkümmert stirbt? Die in einem riesigen Haus herumschlurft, das um sie herum zusammenbricht?« Er ließ das Bild einen Augenblick lang wirken und sah eine leichte Erregung in ihr aufsteigen, die er auskostete. Grausamkeit um ihrer selbst willen war selten ein Vergnügen, aber wenn sie einem höheren Zweck diente, dann konnte sie ein Genuss sein. »Kein sehr schönes Bild, was?«
    Sie wollte nicht antworten, konnte es nicht, in ihren Augen – blaugrün und wunderschön – schimmerten die Tränen. Evelyn würde es sich nie erlauben, zu fallen. Er sah all die unterschwelligen Anzeichen dafür, dass sie innerlich einen schweren Kampf ausfocht: das angespannte Kinn, das Zucken der Unterlippe. Ihm war klar, dass sie ihn zumindest in diesem Moment hasste. Töte den Boten, Propheten wurden schon immer gern verschmäht. Sie wusste, dass er recht hatte.
    »Du könntest in deinen Wagen steigen und wegfahren«, schlug er vor.
    »Und wohin?« Ihre Stimme klang heiser. »Und was mache ich dann?«
    Aal legte sich auf den Rücken und platzierte einen Arm unter dem Kopf, um die Decke anzustarren. »Wir werden mit bestimmten … Fähigkeiten geboren. Potenzialen. Wir sind voller schlafender Talente. Aber wenn der Mut nicht dazugehört, dann sind auch viele weitere mit ihm verloren.« Er drehte auf dem Kissen den Kopf zur Seite, um sie anzusehen. »Du wirst es nie erfahren, wenn du nicht den ersten Schritt machst. Ich habe es einst getan. Es war … eine Offenbarung.«
    Ihre nachmittäglichen Verabredungen waren unregelmäßig, es gab keinen festen Zeitplan, und es war ihm schon, bevor es im letzten Jahr begonnen hatte, klar gewesen, dass Evelyns Ehe für ihren Ehemann nicht viel mehr als eine Trophäe war, mit der er noch mehr Ansehen erlangte. Er hatte sich von Anfang an gedacht, dass sie absolut keine Liebe für ihren Mann empfand, und so war es auch. Andrew Jackson Mullavey liebte sie, daran bestand ebenfalls kein Zweifel. Doch Evelyn war eine von Natur aus praktisch veranlagte Frau, die die

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