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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Sonnenbrillen, um ihre Augen zu verbergen; die Bauern glaubten, wenn man ihnen in die Augen sah, würde man erkennen, dass sie Zombies seien.
    Was für eine Brillanz. Die Tonton Macoute hatten nicht nur die Durchschlagskraft, sondern auch eine unvergleichliche Furcht auf ihrer Seite. Sie konnten einen nicht nur töten, sie konnten einem die Seele stehlen. Aal hatte genug gelesen, um davon überzeugt zu sein, selbst die psychologischen und spirituellen Kräfte eines Vodoun zu besitzen, er hatte Texte von Anthropologen gelesen, die als Skeptiker oder unabhängige Beobachter nach Haiti gereist und als Gläubige, wenn nicht sogar Praktizierende zurückgekehrt waren.
    Als er sich mit dem Washington Post- Auftrag beschäftigte, tat Aal etwas, was er noch nie zuvor getan hatte: Er verlangte ein Treffen mit der Partei, die seine Dienste in Anspruch nehmen wollte. Sein guter Ruf nutzte ihm in diesem Fall nicht allzu viel, und bei ihrem Treffen spät in der Nacht in einem Wagen, der auf einer Werft am Mississippi parkte, dessen schwerer Duft durch die Fenster waberte, war es Aal gelungen, seinen Verdacht zu bestätigen. Der Auftrag, Cass Petersson zu töten, kam von einem hohen Beamten der haitianischen Regierung. Das war alles, was er wissen musste.
    Denn Aal hatte selbst beachtliche Nachforschungen über seinen Klienten angestellt. Nathan Forrests Organisation kämpfte schon seit einiger Zeit gegen die Sizilianer um die Kontrolle über die Unterwelt von New Orleans. Wie wäre es wohl, wenn sie eines Tages zusätzlich zu der Einschüchterung und Gewalt überdies vom spirituellen Terrorismus profitieren konnte, überlegte sich Aal. Diese Lektion konnte man von den Tonton Macoute lernen.
    Nach einigem Überlegen hatte sich Nathan Forrest für diese Möglichkeit erwärmt. Er war ein Einheimischer, er kannte diese Stadt und verstand, wie der Einfluss der Schwarzen und Kreolen seit mehr als zwei Jahrhunderten die Geschichte von New Orleans geprägt und einen Großteil der Kultur mitbestimmt hatte. Dies war die Stadt, die ein Jahrhundert zuvor die Voodookönigin Marie Laveau in ihrer High Society willkommen geheißen hatte.
    Sie schmiedeten eine schreckliche Allianz, die sich für alle auszahlen sollte. Die Kolumnistin Cass Petersson wurde von ihrem Exmann tot auf ihrem Sofa gefunden, nachdem sie eine Überdosis Schlafmittel und Gin zu sich genommen hatte. Sie hatte sie freiwillig, wenn auch widerstrebend, zu sich genommen, während ihr Aal mit einer Pistole und einem Bild ihres neunjährigen Sohnes in der Hand gegenübersaß und ihr von den schlechten Sicherheitsvorrichtungen an der Privatschule des Jungen berichtete. Aal sah ihr zu, wie sie weinte und die Pillen mit zittrigen Fingern in den Mund steckte; er beobachtete, wie sie einschlief und schließlich aufhörte zu atmen. Er erspähte sogar die schimmernde Wolke, die vor Aals sanften Augen aufstieg, und folgte ihr mit seinem Blick bis zur Decke.
    Aals ungenannte haitianische Auftraggeber beglückwünschten ihn von jenseits der azurblauen, tropischen See. Die stärker werdende Stimme einer Plage war zum Schweigen gebracht worden, und es konnte niemand behaupten, sie hätte wegen ihrer Überzeugungen sterben müssen.
    Aber Aal hatte es umsonst getan, er verlangte kein Geld für seinen Teil des Handels, sondern Wissen. Nathan Forrest und sein Bruder hatten ihren Anteil an dem Netz aus Abmachungen, die mit den Beamten von Duvaliers Regime getroffen wurden. Im Frühjahr 1982 fand ein Austausch im sumpfigen Hafen des Bayou Rouge statt. Andrew Jackson Mullavey hatte bar für den Import von etwa sechzig haitianischen Männern, Frauen und Kindern bezahlt. Bauern und Bewohner der Slums von Port-au-Prince konnten ziemlich leicht verschwinden; und niemand würde sie je lautstark vermissen.
    Und die Duvalieristen? Sie nahmen Aal mit, einen Austauschstudenten, der bei den Tonton Macoute in die Lehre ging.
    Solch ein empfänglicher und offener Geist, solch ein eifriger Schüler an der Pistole und der Machete, der sein Handwerk von Grund auf neu erlernte und erkannte, dass seine Ausbildung einige wichtige Dinge vermissen ließ. Dass es Dinge gab, die schlimmer waren als eine drohende Kugel durch die Stirn, sogar noch schlimmer als der Tod. Dass es in der Tat ein Bewusstsein – und nicht nur eines – hinter dem Schleier aus Zeit und Unsichtbarkeit gab, und dass man diesem Bewusstsein beharrlich schmeicheln musste, damit es die Menschen und ihre Sorgen zur Kenntnis nahm. Es besaß nicht

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