Totenstadt
länger einen Namen, falls es den denn je gehabt hatte, aber wenn es sich dazu herabließ, den Ruf zu erhören, dann brauchte es einen Namen, und sei es nur, um den sterblichen Geist einordnen zu können.
Unter der Federführung der gefürchteten Roten Sekte, die sich Les Cochons Sans Poils nannte, lernte Aal die dunklen heiligen Namen. Les Cochons Sans Poils wurden auf dem Land geschmäht und gefürchtet, sie waren Hexenmeister, deren rituelle Kleidung weiß und rot war und deren Name sich als »haarlose Schweine« übersetzen ließ, ein Name, den man der geopferten Beute gab. Für Aal hatte es nie die Frage von Gut oder Böse gegeben – das waren altmodische Konzepte für Bauern und all jene, deren monochrome Sicht sie blind machte für den Regenbogen an Möglichkeiten. Hier ging es um Macht, Manipulation und Philosophien, wie sie sich nur der tapferste Sucher vorstellen konnte.
Groß, dünn, farblos, Aal war mehr als nur weiß, er war ein Negativbild der furchterregenden Macoute, und das Leben in Haiti war völlig anders als in Amerika. Es war ohne Belang, wer ihn hier sah, er musste sich nicht verstecken. Djab Blanc nannten ihn die Bauern, auch jene, die ihn noch nie gesehen, sondern nur voller Furcht gehört hatten, wie jemand flüsternd über ihn berichtete: weißer Teufel.
Drei Jahre später kehrte er als völlig veränderter Mann nach New Orleans zurück, und Nathan Forrest hieß ihn willkommen, wie ein Wall-Street-Trader die Auszahlung einer vor langer Zeit getätigten Investition begrüßten würde. Aal baute sich seine eigene kleine Gesellschaft von Elitesoldaten auf, und er fand schnell zahlreiche Gläubige.
Die Sizilianer stellten noch immer ein Problem dar, und Nathan Forrest zahlte mehrere Hunderttausend Dollar an Tribut, nur damit sie sich nicht in seine Geschäfte einmischten. Doch es schien nie zu reichen.
Also kümmerte sich Aal darum.
Er ließ Don Frank Luchese zusammen mit zwei Leibwächtern aus seinem eigenen Haus entführen, vier weitere wurden in verschiedenen Räumen tot zurückgelassen. Man brachte sie mit verbundenen Augen ins French Quarter, in den steinernen Humfo unter dem Charbonneau’s. Aal sah teilnahmslos zu, wie Luchese an die Eisenhaken an der Wand gefesselt wurde. Mit einer Machete hackte Aal einem der Leibwächter die Hände und Füße ab, um sich Lucheses Aufmerksamkeit zu vergewissern. Dann blies er dem zweiten ein Pulver ins Gesicht, und sie sahen gemeinsam zu, wie er ins Koma zu fallen schien. Und was für eine Offenbarung es doch war, zu sehen, dass harte Sizilianer sich, wenn sie am Ende ihrer Kraft waren, in die Hose machten und wie kleine Kinder jammerten, die gerade aus einem Albtraum erwacht waren.
Aal nahm sich von diesem Oberboss alles, was er brauchte – Haare und Nagelstücke –, dann ließ er ihn unverletzt nach Hause bringen. In Lucheses Manteltasche wurde später die Zunge des ersten Leibwächters gefunden, und auf dem roten schwammigen Fleisch war deutlich eine Nachricht zu erkennen: 20. Februar, 13 Uhr.
Am nächsten Tag – ebendiesem Tag – verlangte ein tobender Frank Luchese in seinem Haus in Jefferson Heights seine Rache, während er von einem Bataillon an Wachen umgeben war. Eine Stunde nach Mittag erstickte er an seiner eigenen grotesk angeschwollenen Zunge.
Es war ganz offensichtlich, dass sich die Machtverhältnisse gewaltig verschoben hatten.
Alles in allem war Aal sehr zufrieden. Er hatte schnell gelernt, und die Unterwelt von New Orleans tat das ebenfalls, wie sich in den kommenden Wochen herausstellte.
Was mal wieder eines bewies: Man durfte nie die Werbewirkung eines guten Anschauungsunterrichts unterschätzen.
Als sich Aal von Luissant Faconde erhob, der nun auf dem Steinboden immer kühler wurde, geschah dies nur, weil er ihn umdrehen wollte, damit er mit dem Gesicht nach oben lag. Er zerrte den Leichnam tiefer in den Humfo hinein, zog sich die Jacke aus und machte sich daran, die Kleidung des Toten zu entfernen. Er warf alles auf einen Haufen … Übermantel, Hose, Hemd, Unterwäsche und sogar die Brille, deren Gläser nun gesprungen waren.
Von einem der Tische nahm er eine elektrische Schere, die dort nur auf ihren Einsatz gewartet hatte, und erleichterte Faconde um seine Haare auf dem Kopf und im Schambereich. Seine schlaffe Brust und sein Bauch waren bereits glatt, und auf seinem Arm war nur ein eingeschränkter Haarwuchs zu erkennen.
Er war ein haarloses Schwein. Der Ritus und die Bezeichnung war nur für die, die dies
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