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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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durch die erste Falltür, die fast zu eng für Faconde war, weiter in den nächsten Keller und noch tiefer hinab. Jeder Schritt war wie ein weiteres Jahr, das man in der Zeit zurückging und das die Vergangenheit weiter enthüllte.
    Er sah über die Schulter hinweg zu Faconde, dessen Abscheu ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Ihre Schritte hallten von den Wänden wider, und in der Ferne dieser höhlenartigen Keller waren Wassertropfen zu hören, die in Teiche fielen wie unterirdischer Schweiß. Die Ziegeln und Mauern waren hier unten ständig feucht, und das schwache Licht von den nackten Glühbirnen schimmerte an den Wänden, als wäre der Weg entlang des Flusses eine gewaltige Speiseröhre.
    Hier unten veränderte sich nie etwas, unabhängig davon, was sonst in der Welt so geschah. Sonne und Hitze, Regen und Kühle, all das ließ man hinter sich zurück, denn hier unten gab es eine lebendige Ewigkeit, die so konstant war wie die absolute Wahrheit.
    »Das waren die Gewölbe der französischen Schmuggler«, erklärte Aal. »Sie wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts gebaut.« Und er lachte. »Wussten Sie, dass Nathan das Restaurant vor fünfzehn Jahren hauptsächlich wegen dieser Keller gekauft hat?«
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Ein Bauingenieur, den er kennt, hat sie auf einigen alten Bauplänen gefunden. Niemand wusste mehr davon, die Falltüren im Keller waren versiegelt worden, und man hatte sie vergessen. Nathan hat das Haus hauptsächlich aus diesem Grund gekauft. Erst sehr viel später wurde das Charbonneau’s sein ganzer Stolz.«
    Der sanfte Wind, der vom Fluss herüberwehte und von Mündern aus Ziegeln, Erde und Stein ausgestoßen wurde, wurde zu einem unterschwelligen Stöhnen. Das waren die Stimmen der Seelen aus der Nachwelt, die gefoltert wurden.
    »Ich schätze, er hat gedacht, dass er sich hier im schlimmsten Fall verstecken kann, wenn es erforderlich sein sollte. Das hatten wohl auch die französischen Piraten im Sinn, als sie diesen Ort bauten. Hier gibt es sogar einen Ofen, also hat irgendjemand auf lange Sicht geplant.«
    Aal hielt im breiten, von einem Bogen gekrönten Eingang des Humfos, seines Heiligtums, inne, Faconde stand direkt hinter ihm. Das Abbild einer Religion, die schon seit mehreren Tausend Jahren bestand, von beiden Seiten des Atlantiks beeinflusst worden war, von uralten afrikanischen Riten, die durch römisch-katholische Rituale gefiltert wurden, vermischt mit französischem Mystizismus und dem Hang der Aristokratie, andere zu vergiften. Die Kerzen, die Knochen, die Talismane, die verzierten in Stein geschnittenen Vèvès, die Flaschen und die unzähligen Regale mit weißen Töpfen, seine Galerie der Seelen. Aal zündete die Kerzen an – hier unten gestattete er kein elektrisches Licht –, und unter der gewölbten Decke wurde diese Kammer zu einem Schrein barbarischen Heidentums.
    »Können Sie es spüren?«, flüsterte Aal.
    Und das konnte Luissant Faconde ganz offensichtlich. Etwas lebte hier in den Mauern, in der Erde, in dem Fluss. Etwas, das lautlos summte und unter ihren Füßen pochte, was man nicht auf der Haut, aber in den Knochen und noch darunter spüren konnte.
    »Ich habe es nie geglaubt.« Faconde sprach sehr leise und ehrerbietig, in einem Ton, den man sonst nur für Kirchen aufhob. »In Port-au-Prince dachten viele von uns … es sei nur der Aberglaube der Bauern. Etwas, das ihnen Hoffnung gab, da der Aberglaube alles war, was sie noch hatten. Wir standen darüber und hatten keinen Nutzen dafür.«
    »Außer es als Drohung zu verwenden«, ergänzte Aal.
    »Haiti ist voll mit jenen, die Angst haben wollen.«
    Dieser Zeitpunkt war so gut wie jeder andere. Aal ging einen Schritt zurück, dann noch einen, und die Garotte lag schon um Facondes Hals, bevor dieser überhaupt merkte, dass Aal sich bewegt hatte. Der dünne Draht schnitt in Facondes Kehlkopf und verschwand dann völlig in der schwabbeligen Haut.
    Aal hielt ihn fest und drückte sich eng an Facondes Rücken, während dieser von Krämpfen geschüttelt wurde. Den einen Arm, der ihm geblieben war, schwang er wild umher, er hatte das Gleichgewicht verloren und sich noch nie so behindert gefühlt wie in diesem Moment. Die gewölbte Decke warf das Geräusch seines Keuchens und des Scharrens seiner Füße zurück. Aal konnte sie riechen: Furcht und Verrat, die Essenz der bevorstehenden Transzendenz, und wie schon so oft beneidete er die hervortretenden Augen um den Blick in das Reich, das sich

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