Totenstadt
ihnen nun öffnete. So viele Mysterien, die im Moment des Übergangs gelüftet wurden.
Hatte einer von ihnen ihm später von der anderen Seite aus gedankt?
Schwache Krämpfe, schwindend wie die letzten Zuckungen, und zu guter Letzt lag Luissant Faconde schwach in seinen Armen. Aal hielt ihn noch eine Minute lang fest, dann ließ er ihn auf den Steinboden fallen, wo er mit dem Gesicht nach unten lag. Er zog die Garotte aus einem tiefen Einschnitt am Hals. Aal suchte in der Luft über Faconde und um ihn herum nach einem Zeichen oder flüchtigen Schatten, einem Fetzen des spirituellen Nebels … aber da war nichts.
Vielleicht hatte Faconde seine Seele schon vor langer Zeit verloren.
Aal warf die befleckte Garotte auf einen der Altartische, er würde sie später reinigen. Nun schloss er die Augen und holte einige Male tief Luft, sei ganz ruhig, und er bewegte sich erst, als sich sein Herzschlag wieder verlangsamt hatte. Er zog das Maalox aus seiner Jackentasche und nahm einige rasche Schlucke, um das Feuer zu besänftigen, dann konnte er wieder klar sehen.
Ruhe, nachdenken. Er musste sich setzen und alles einige Augenblicke sacken lassen. Facondes Rücken, breit und unbewegt, gab einen guten Sitzplatz ab.
Als Terrance Fletcher war er in Washington, D.C., und dessen Umgebung aufgewachsen. Er hatte einige Jahre lang die Drecksarbeit für kleine und mittlere Politiker erledigt, seine Mittel und Wege variierten ebenso wie die Gründe, aus denen seine Ziele ausgewählt wurden, und er stellte niemals irgendwelche Fragen. Es gab immer eine zwielichtige Abteilung der Regierung oder eine Person, die einen unabhängigen Unternehmer mit guten Verbindungen brauchte, der überdies wenig wissen wollte. Aufgrund seines Albinismus war er selbst unter Anomalien ein Freak, auch wenn er dies mit Leichtigkeit zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er war so kalt und blass wie die Denkmäler alter Staatsmänner, und die Tatsache, dass man sein Gesicht nie mit einem der Todesfälle, für die er verantwortlich war, in Verbindung bringen konnte, steigerte seinen Ruf ungemein. Jeder, der so andersartig war und unsichtbar bleiben konnte, musste einfach gut sein. Und so war er auch zu seinem Spitznamen gekommen, wie in Schlüpfrig wie ein Aal …
Das war ausgesprochen gut für sein Geschäft, ebenso wie sein Hang, andere, die ihm in die kobaltblauen Augen sahen, mit Furcht zu erfüllen. Es waren extradimensionale Augen, auf ihre Art weise, und er konnte den Verstand zivilisierter Menschen, die ihr Bestes gaben, ihre eigenen Gesetze zu umgehen, genauso fesseln wie die Strömungen von etwas, das weitaus weniger greifbar war. Augen wie seine sah man nur ausgesprochen selten, es waren die eines zynischen Visionärs.
Und dem war auch so.
Sehr oft war er Zeuge gewesen, wie die Seele aus einem Körper entfleucht war, dessen Leben er soeben ausgelöscht hatte. Manchmal ging es schnell wie bei einem aufsteigenden Kometen, dann wieder verweilte sie wie die nebulöse Rauchwolke, die ein Feuerwerkskörper zurückließ. Für andere in seinem Metier mochte das ein unerträglicher Fluch sein, der sie möglicherweise dazu zwang, ihren Job zu wechseln, aber für Aal war es bloß faszinierend. Es war der Beweis dafür, dass es hinter dem Schleier der Realität noch etwas anderes gab.
Und wenn man es sehen konnte, dann konnte man es doch sicher auch manipulieren.
Der Tod, diese Beraubung des Ewigen vom Temporären, war zu seiner Profession geworden. Warum sollte es nicht auch seine Wissenschaft und seine Religion sein?
Allerdings konzentrierte er sich weiterhin hauptsächlich auf die Praxis. Aal hatte kein Leben geführt, in dem eine offene Beschäftigung mit dem Mystischen auch nur angesehen, geschweige denn sicher war. Aber der Job im Juni 1981 in Montana gab ihm den letzten Anreiz, sich in eine völlig neue Richtung zu entwickeln.
Ein Kerl Anfang fünfzig – zwanzig Jahre älter als Aal –, der sich in einem heruntergekommenen Mietshaus mitten im Nirgendwo nördlich von Billings versteckte. Für wen er eine Bedrohung darstellte und warum, war so erstaunlich wie belanglos. Aal schlich sich durch ein Fenster ein und schaltete den Kerl mit einem Eispickel durchs Ohr aus. Er schien Aals Vorhaben zu ahnen, sobald er ihn erblickte, und mit dem verzweifelten Versuch eines Verdammten, der denkt, er könne mit dem Henker einen Handel abschließen, hatte er Aal versprochen, dass sie beide am Profit des Buches teilhaben konnten. Aal hatte gar nichts gesagt, und
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