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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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können nichts dagegen tun. Das sagte April nicht, aber er wusste es. Er wusste es.
    Sie war natürlich klüger als er. Das war ihm schon immer klar gewesen. April war die Pragmatikerin, die Realistin, von ihnen beiden war er der Impulsivere, der regelmäßig vergaß, innezuhalten und über die Dinge nachzudenken. Konsequenzen waren etwas, um das er sich kümmerte, wenn es so weit war; im Voraus verschwendete er nicht einen Gedanken daran. Wenn man sein Leben damit verbrachte, darüber nachzudenken, was schiefgehen konnte, setzte man sich womöglich nie in Bewegung. Justin glaubte, dass er April brauchte, weil ihr Einfluss dafür sorgte, dass er nie den Boden unter den Füßen verlor, und er würde sie auch immer brauchen.
    »Du wusstest, dass es so laufen würde, wenn wir hierherkommen.« Er lehnte sich an und lächelte zu ihr hinüber, als sei er soeben aus tiefem Schlaf erwacht. »Oder nicht?«
    »Ich hatte es vermutet.«
    »Und du hast mich nicht aufgehalten. Oder versucht, mich zur Vernunft zu bringen.«
    »Es hätte doch nicht funktioniert. Wir hätten uns bloß gestritten.«
    Da hatte sie auch wieder recht. Manchmal hatte er das Gefühl, in gewisser Hinsicht nie wirklich erwachsen geworden zu sein. Er konnte die Aussage eines klügeren Menschen keinesfalls einfach so hinnehmen, sondern musste immer alles selbst rausfinden, und zwar auf die harte Tour.
    Die St.-Charles-Straßenbahn setzte sie in der Canal Street ab, bevor sie den Weg, den sie gekommen war, wieder zurückfuhr. Hand in Hand überquerten sie die Canal, gingen die neun Blocks zu ihrem Hotel durch die Royal und machten dann einen kleinen Schwenk in die St. Peter. Das Quarter war einer dieser Orte, an denen man sich gern zu Fuß fortbewegte, da überall neue Anblicke, Gerüche und Eindrücke auf einen warteten. Unter anderen Umständen hätten sie sich hier wirklich sehr wohl gefühlt, wenn sie die Flitterwochen, für die im letzten Jahr kein Geld gewesen war, beispielsweise hier verbracht hätten. Ihr erster Hochzeitstag war in der nächsten Woche, und er fragte sich, ob sie schon daran gedacht hatte. Angesichts der vielen Dinge, die ihnen momentan im Kopf rumspukten, geriet so etwas schnell in Vergessenheit.
    Sie näherten sich dem Hotel, und April griff in ihre Tasche, um die Telefonkarte herauszukramen. »Geh du doch schon mal nach oben und hol eine weitere Diskette, dann bleibe ich in der Lobby und versuche, in der Information Rons Telefonnummer zu bekommen.«
    Justin sagte okay. Um zu sparen, waren sie in einem älteren Hotel abgestiegen, einer kleineren Pension im europäischen Stil mit hohen Decken und einem leicht altertümlichen Hauch, der durch alle Wände zu dringen schien. In Bezug auf das örtliche Flair war es dem Holiday Inn weit überlegen, dafür gab es auf den Zimmern allerdings weder einen Fernseher noch ein Telefon; um einen derartigen Luxus genießen zu können, musste man sich in die Lobby begeben.
    Es war Freitagabend, und auf dem Bürgersteig zwischen dem Hotel und der Bourbon Street herrschte reger Betrieb. Dann betraten sie die Hotellobby, in der sich bereits einige andere Menschen aufhielten. Justin ging direkt auf die Treppe zu, während April sich nach links wandte, wo am Schalterende einige öffentliche Telefone standen.
    Justin hatte soeben den Fuß der Treppe erreicht, als er die beiden aus der entfernten Ecke der Lobby kommen sah, in der ein paar Sessel vor dem Fernseher standen. Er erkannte auf den ersten Blick, dass sie Polizisten waren, er hatte sich schon zu oft mit ihnen abgeben müssen und identifizierte sie so leicht, wie andere Menschen bestimmte Vogelarten zuordnen konnten. Für Eingeweihte waren ihre abgenutzten Businessanzüge und ihr Gesichtsausdruck, in dem sich ihr Gefühl der Überlegenheit und ihre »Leg dich nicht mit mir an«-Einstellung deutlich widerspiegelten, ebenso klare Hinweise wie eine Uniform. Schon ihr Gang machte klar, dass sie jedes Recht der Welt hatten, sich hier aufzuhalten.
    Der mit den kurzen Stoppeln ließ seine Marke aufblitzen, während der mit dem sandfarbenen Haar hinter ihm stand. »Justin Gray?«
    Sein Innerstes zog sich zusammen, als ihn die alten Erinnerungen übermannten, und er nickte. Als ob sie das nicht schon längst wüssten.
    »Würden Sie bitte zur Wand gehen? Lehnen Sie sich dagegen und spreizen Sie die Beine. Sie kennen das ja.«
    Wenn man zu viel Zeit in ihrer Gesellschaft verbrachte, verloren sie die Fähigkeit, einen allein durch ihre Anwesenheit einschüchtern

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