Totenstadt
es nicht geschafft hatten, sich vor den Massen in Sicherheit zu bringen. Das Abschlachten der Macoutes interessierte mich nicht. Aber Luissant Faconde? Einige meiner neuen Freunde und ich spürten ihn in einem Hotel auf, wo er sich darauf vorbereitete, das Land zu verlassen. Er hatte sein gestohlenes Vermögen bereits auf Banken in Europa transferiert.
Ich konnte mit ihm tun, was ich wollte; das war das Geschenk meiner Freunde an mich. Ich ging mit einer Machete hinein und hatte vor, ihn zu töten und es hinter mich zu bringen. Aber es schien mir … zu schnell zu gehen.« Granviers Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln, dies war eine Aufwallung der Grausamkeit, die man an ihm nicht erwartet hatte. »Vodoun- Priester, die ihre Macht nutzen, um anderen zu schaden, sollen ›den Göttern mit beiden Händen dienen‹. Mit der rechten konnten sie Gutes tun, mit der Linken richteten sie Schaden an …
Ich schnitt Facondes Arm in der Mitte zwischen Ellenbogen und Schulter ab. Ich wollte nicht, dass er stirbt, er sollte leben und sich jeden Tag an das erinnern, was er getan hatte und warum er bestraft werden musste. Ich band ihm den verletzten Arm am blutenden Stumpf ab und zog ihn dann ins Bad, damit er sehen konnte, wie ich seinen Arm in der Badewanne verbrannte. An diesem Tag habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.«
Es war so still im Zimmer, dass Justin dachte, er könne das Blut in seinen Adern fließen hören. Christophe Granvier, der klassische Fall eines netten Kerls, den man zum Äußersten getrieben hatte; er hätte nie gedacht, dass in diesem Mann so viel Grausamkeit stecken könnte.
»Das tote Huhn, das Sie uns letzte Nacht gezeigt haben. Dem man den Flügel abgeschnitten hatte.« Aprils Stimme klang ängstlich. »Das war von Faconde, er hat die ganze Sache inszeniert? Er ist hier?«
Granvier nickte kurz. »Ja, ich glaube schon.«
Moreno schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie hätten auf seinen Hals zielen sollen.«
»Wie hat er überhaupt von Ihren Marketingplänen erfahren?«, wollte Justin wissen.
»Wer weiß? Ich habe Kaffeebohnen aus Haiti importiert, er hat dort immer noch viele Kontakte zu alten Partnern und könnte es auf diesem Weg erfahren haben. Oder er hat es direkt von Andrew Jackson Mullavey oder dessen Bruder gehört. Auf einem dieser Wege ist es zu ihm durchgedrungen.«
»In welcher Verbindung steht er zu den Mullaveys?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber in Haiti gibt es nicht viele Geschäftsleute, und man hört so einiges. Einige Jahre vor Duvaliers Fall gab es Gerüchte, dass Baby Doc oder jemand in seinem Regime Geschäfte mit mächtigen Männern in New Orleans machte. Es war nur wenig bekannt, aber ich bin mir ziemlich sicher, gehört zu haben, dass einer von ihnen der Regierung mehrere Hunderttausend Dollar für den Export einiger Dutzend Haitianer gezahlt hat, die für ihn arbeiten sollten.«
»All diese Arbeiter auf seinem Land?«, meinte Justin. »Sie wollen doch nicht sagen, dass er sie gekauft hat?«
Granvier nickte.
Justin ließ den Kopf sinken und starrte auf die Tischplatte. Er hatte an Mullaveys Tisch gegessen, unter seinem Dach geschlafen, mit ihm Tontauben geschossen.
Ein Teil seines Gehalts wurde von Mullavey Foods bezahlt.
Und dann das, hier in einem Motelzimmer in Gretna, Louisiana. Dieses Gefühl von vier Uhr morgens, jeder Muskel unterhalb der Hüfte schmerzte, ein übler Geschmack im Mund und eine verzerrte Sicht der Welt – so war es also, wenn man sich wie eine Hure fühlte, benutzt und weggeworfen.
Aprils Hand lag auf seinem Arm, streichelte ihn sanft und drückte dann kurz zu. Sie sah zu Ruben Moreno hinüber, sieh doch …
Moreno saß da und starrte in seinen Kaffee; er war nicht mehr länger der unerschütterliche Retter aus Miami. Nein. »Das haben Sie mir nie erzählt, Christophe«, sagte er mit unterdrückter Wut. »Sie haben es mir nie erzählt.«
Granvier sah ihn seelenruhig an. »Was hätte das gebracht? Diese Leute haben in diesem Land, auf seinem Land, ein besseres Leben, als sie es in ihrer Heimat je gehabt hätten.«
Moreno schüttelte empört den Kopf. »Das ist nicht der Punkt. Er nutzt seit einer Dekade Sklaven aus der Dritten Welt aus … und er kommt damit durch?«
»Sie sind ein praktischer Mann, Ruben. Sie können mit praktischen Angelegenheiten umgehen«, erwiderte Granvier. »Sie sind so besser dran. Anders kann ich das nicht erklären.«
»Das ist nicht richtig«, flüsterte Moreno. »Dieser
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