Totenstadt
hausen. »Aber es hat alles damit angefangen. Mit dem Kaffee.« Er seufzte, stellte die Tasse auf den Tisch und fasste sie nicht mehr an. »Die Regierung von Haiti war auf vielerlei Weise korrupt. Jean-Bertrand Aristide war der erste anständige Herrscher, den Haiti seit Generationen hatte, bis er vor zwei Monaten von der Armee gestürzt wurde. Ich kann mich sehr gut an das Leben unter den Duvaliers erinnern – François kam an die Macht, als ich sechs Jahre alt war –, und sowohl unter dem Vater als auch dem Sohn gab es keine mittlere Klasse. Es gab die Bauern, die im Dreck lebten, die Armen in den Slums, und dann waren da die reichen Anführer, die sich wie Geier vom Rest ernährten. Die meisten sind Mulatten, die sich für etwas Besseres halten.
Ich stamme aus einer reichen Familie, der seit Generationen eine Kaffeeplantage gehörte. Aber unsere Haut war schwarz – völlig schwarz – und wir kamen aus dem Dreck, was kein Geheimnis war, daher gab es viele, die aus diesem Grund auf uns herabsahen.«
»Wie gesagt, war die Regierung, insbesondere das Duvalier-Regime, auf vielen Ebenen korrupt. Seine Feinde wurden häufig tot aufgefunden. Und für alle Beteiligten ging es immer nur um den Profit. Jean-Claudes Witwe Michele gründete in ihrem Namen eine Stiftung, angeblich um armen Müttern und deren Kindern zu helfen. Stattdessen nutzte sie sie aber als privates Bankkonto und schaffte Millionen für ihre eigenen Zwecke beiseite. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.«
»Nette Leute«, meinte April.
»Micheles eigene Familie war ein zwielichtiger Haufen Mulatten, und nicht wenige von ihnen waren in den Kokainhandel involviert, genauso wie einige andere aus dem Regime, darunter ein Mann namens Luissant Faconde. Er war der amtierende Minister für Kaffeeexporte. 1985 entwickelte Luissant Faconde einen Plan, um seine eigenen Taschen zu füllen. Er wollte von jedem der Kaffeebauern einen Anteil der Ernte, um sie selbst zu rösten und von seiner eigenen Firma in die Vereinigten Staaten exportieren zu lassen. Die Kaffeebauern exportieren ihre Bohnen gleich nach dem Ernten und überlassen den Käufern das Mahlen und Rösten, aber Faconde wollte sie in Port-au-Prince verarbeiten. So konnte er seine Kokainbeutel mit dem gerösteten Kaffee vermischen und verschiffen.«
Moreno fuhr fort. »Etwas Ähnliches geschieht hier in kleinerem Ausmaß mit den Schmugglern und ihren Vans. Sie wollen einige Kilo transportieren und das Risiko verringern, also verpacken sie sie in Kaffee. Drogenhunde können den Geruch dann nicht mehr erschnüffeln.«
Justin nickte, als ob dies für ihn neue Informationen wären. Er kannte den Trick, zwar nicht aus persönlicher Erfahrung, aber einstige Bekannte hatten ihm davon erzählt.
»Mein Vater weigerte sich, mit Faconde zu kooperieren. Er war ein sehr dickköpfiger Mann, und das Geld, das er hätte zahlen müssen, bedeutete ihm nichts. Ich glaube, er wusste schon weitaus länger als ich, was passieren würde. Er versuchte mich fortzuschicken, aber ich weigerte mich. Dann transferierte er einen Großteil der Vermögenswerte auf amerikanische Banken, damit es der Regierung nicht in die Hände fallen konnte.« In Granviers Augen trat sein Schmerz immer offenkundiger zutage. »Vielleicht war er bereit zu sterben. Meine Mutter war sechzehn Jahre zuvor an Tuberkulose gestorben. Einer meiner Brüder war zum Katholizismus konvertiert, wurde dann Priester und bekam während einer Demonstration von einem Soldaten einen Knüppel über den Kopf gezogen; seitdem ist sein Verstand der eines Kindes, und er lebt in einem Heim. Mein älterer Bruder ging in Frankreich auf die Universität und kehrte nie nach Hause zurück. Meine Schwester war schon seit langer Zeit verheiratet. Mein Vater hatte jeden Tag Schmerzen, seine Beine taten ihm weh. Er hatte Gicht. Er gab es nie zu, aber jetzt bin ich davon überzeugt, dass er bereit war zu sterben. Ich glaube, er wollte, dass sein Tod eine Bedeutung hatte. Und nun hatte er einen guten Grund.
Nachdem er sich Luissant Faconde gegenüber zum letzten Mal ablehnend geäußert hatte, dauerte es nicht lange, bis eine Gruppe Soldaten in die Berge kam. Sie verschwendeten keine Zeit. Sie erschossen ihn, als er auf seiner Veranda saß, und sie erschossen zwei seiner Vorarbeiter, die geblieben waren, um zu kämpfen. Pflanzer haben häufig Privatarmeen, um ihr Recht auf ihren eigenen Plantagen und in der näheren Umgebung durchzusetzen oder einfach alles zu beherrschen, aber
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